Wie ein einziger Tag
Vater, als Du weißt«, sage ich Dir, als die Kinder schlafen gegangen sind. Und bald darauf legen wir unsere Kleider ab, küssen uns und verlieren uns fast, bevor wir unter die Decke schlüpfen können.
Es gibt so vieles, das ich an Dir liebe, besonders Deine Leidenschaft für die Dinge, die das Leben lebenswert machen. Liebe, Poesie, Freundschaft, Schönheit, Natur.
Und ich bin glücklich darüber, daß Du auch die Kinder diese Dinge gelehrt hast, denn ich weiß, daß es ihr Leben bereichern wird Sie sagen mir oft, was Du ihnen bedeutest, und jedes Mal weiß ich dann, daß ich die glücklichste Frau auf Erden bin.
Auch mich hast Du manches gelehrt, hast mich inspiriert, beim Malen unterstützt, und Du wirst niemals wissen, wieviel mir das bedeutet hat. Meine Bilder hängen jetzt in Museen und Privatgalerien, aber immer wenn ich erschöpft oder beunruhigt war wegen der vielen Ausstellungen und Kritiken, hattest Du ein tröstendes und ermutigendes Wort für mich. Du hattest Verständnis dafür, daß ich ein eigenes Atelier brauchte, meinen eigenen Freiraum, und sahst über die Farbkleckser auf meinen Kleidern, in meinem Haar und manchmal auch auf den Möbeln hinweg. Ich weiß, daß es oft nicht leicht war. Es bedarf eines ganzen Mannes, mit so jemandem wie mir zusammenzuleben. Und Du hast es ertragen. Fünfundvierzig Jahre. Wundervolle Jahre.
Du bist mein bester Freund und mein Geliebter, und ich weiß nicht, welche dieser beiden Seiten ich am meisten schätze. Da ist noch etwas an Dir, Noah, etwas Schönes und Starkes. Güte sehe ich, wenn ich Dich heute anschaue, und die sieht jeder in Dir. Güte. Du bist der versöhnlichste und friedfertigste Mensch, den ich kenne. Gott ist mit Dir, muß es sein, denn Du bist für mich fast wie ein Engel.
Ich weiß wohl, Du hieltest mich für verrückt, als ich darauf bestand, unsere Lebensgeschichte aufzuschreiben, bevor wir schließlich unser Haus für immer verließen. Aber ich hatte meine Gründe, und ich danke Dir für Deine Geduld. Und obwohl Du mich danach fragtest, habe ich Dir den Grund nie verraten. Aber jetzt, so glaube ich, ist es an der Zeit, daß Du ihn erfährst.
Wir haben ein Leben gelebt, von dem die meisten Paare nur träumen können, und dennoch fürchte ich, wenn ich Dich ansehe, daß all dies bald zu Ende sein wird. Denn wir beide kernen den Verlauf meiner Krankheit und wissen, was das für uns bedeutet. Ich sehe Tränen in Deinen Augen und mache mir mehr Sorgen um Dich als um mich, weil ich den Schmerz fürchte, den Du durchleben wirst. Mir fehlen die Worte, um meinen Kummer darüber auszudrucken.
Ich liebe Dich so sehr, daß ich, trotz meiner Krankheit, einen Weg finden werde, um zu Dir zurückzukehren, das verspreche ich Dir. Und hier nun kommt unsere Geschichte ins Spiel. Wenn ich verloren und einsam bin, dann lies mir diese Geschichte vor; und sei gewiß, ich werde irgendwie merken, daß es unsere Geschichte ist. Und vielleicht, ja, vielleicht, finden wir einen Weg, wieder zusammenzusein.
Bitte sei mir nicht böse, wenn ich Dich an manchen Tagen nicht erkenne. Wir beide wissen, daß uns solche Tage bevorstehen. Sei gewiß, daß ich Dich liebe, Dich immer lieben werde und daß ich, was auch kommen mag, das denkbar schönste Leben gelebt habe. Mein Leben mit Dir.
Und wenn Du diesen Brief aufbewahrst, um ihn wieder zu lesen, so glaube, was darin steht. Ich liebe Dich jetzt, während ich ihn schreibe, und ich liebe Dich jetzt, während Du ihn liest. Und es tut mir leid, daß ich es Dir nicht mehr sagen kann. Ich liebe Dich, Noah, aus tiefstem Herzen. Du bist und warst stets mein Traum.
Allie Ich lege den Brief zur Seite, stehe auf und suche nach meinen Hausschuhen. Sie stehen neben meinem Bett, und ich muß mich setzen, um sie anzuziehen. Ich erhebe mich mühsam, gehe zur Tür und öffne sie einen Spaltbreit. Ich spähe hinaus und schaue den Korridor hinunter. Ich sehe Janice am Empfangstisch sitzen. Wenigstens glaube ich, daß es Janice ist. An diesem Tisch muß ich vorbei, wenn ich zu Allie will. Doch zu dieser späten Stunde ist es mir nicht erlaubt, mein Zimmer zu verlassen, und Janice gehört nicht zu denen, die fünf gerade sein lassen. Sie ist mit einem Rechtsanwalt verheiratet.
Ich warte ein Weilchen, in der Hoffnung, daß sie vielleicht fortgeht, aber sie scheint nicht die Absicht zu haben, und ich werde ungeduldig. Schließlich gehe ich auf den Korridor und setze mich in Bewegung - langsam-schluff, rechts-vor, langsam-schluff. Es dauert
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