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Wie ein einziger Tag

Wie ein einziger Tag

Titel: Wie ein einziger Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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zu sehen, bevor sie im Brackwasser verschwanden. Irgendwie freute es ihn immer, daß sich ihre Instinkte seit Tausenden, vielleicht Zehntausenden von Jahren nicht verändert hatten.
    Manchmal fragte er sich, ob sich die Instinkte des Menschen in diesem Zeitraum verändert hatten, und jedesmal kam er zu dem Schluß, daß sie wohl unverändert geblieben waren. Wenigstens die Urinstinkte. Soweit er wußte, war der Mensch immer aggressiv gewesen, immer bestrebt zu dominieren, sich die Erde und alles darauf zu unterwerfen. Der Krieg in Europa und Japan war ein Beweis.
    Kurz nach drei hatte er sein Tagewerk beendet. Er lief zu dem kleinen Schuppen gleich neben seinem Anlegesteg, holte Angelrute und ein paar lebende Köder, die er immer zur Hand hatte, ließ sich auf dem Steg nieder und warf die Angel aus.
    Beim Angeln geriet er immer ins Grübeln und dachte über sein Leben nach. So auch jetzt. Nach dem Tod seiner Mutter hatte er in einem Dutzend verschiedener Heime gelebt. Und da er als kleines Kind gestottert hatte, war er ständig gehänselt worden. So begann er, immer weniger zu sprechen, bis er mit fünf fast gänzlich verstummte. Als er ins schulpflichtige Alter kam, glaubten die Lehrer, er sei zurückgeblieben, und rieten, ihn aus der Schule zu nehmen.
    Statt dessen aber nahm sein Vater die Dinge dann selbst in die Hand. Er sorgte dafür, daß er in der Schule blieb und nach dem Unterricht ins Holzlager kam, wo er ihn Holz schleppen und stapeln ließ. »Es ist gut, daß wir oft zusammen sind«, sagte er, wenn sie Seite an Seite arbeiteten, »genauso wie mein Vater und ich.«
    In den Stunden, die sie zusammen verbrachten, sprach der Vater über Vögel und Tiere, oder er erzählte Geschichten und Legenden aus North Carolina. Nach wenigen Monaten fing der kleine Noah wieder an zu sprechen, doch er stotterte immer noch, und sein Vater beschloß, ihm anhand von Gedichten das Lesen beizubringen. »Lies das hier, laut und immer wieder, und du wirst bald alles sagen können, was du willst.« Auch diesmal hatte sein Vater recht, Noah hörte auf zu stottern. Trotzdem kam er auch weiterhin täglich ins Holzlager, um bei seinem Vater zu sein, und abends las er laut aus den Werken von Whitman und Tennyson vor, während sein Vater neben ihm im Schaukelstuhl saß. Und seit dieser Zeit wurde er nicht müde, die großen Dichter zu lesen.
    Als er etwas älter war, verbrachte er die meisten Wochenenden und Ferien allein. Er durchforschte den Croatan Forest mit seinem ersten Kanu, paddelte den Brices Creek zwanzig Meilen hinunter, bis es nicht mehr weiter ging, und wanderte die restlichen Meilen zur Küste. Zelten und Erkunden wurden zu seiner Leidenschaft, und er verbrachte Stunden im Wald. Unter einer Schwarzeiche hockend und vor sich hin pfeifend, spielte er auf seiner Gitarre - für Biber, Gänse und Fischreiher. Dichter wissen, daß Einsamkeit in der Natur, fern von Menschen und den von Menschen gefertigten Dingen, wohltuend für die Seele ist, und er hatte sich immer mit ihnen identifiziert.
    Er war ein stiller, zurückhaltender Junge, doch die Jahre der Schwerarbeit im Holzlager sorgten dafür, daß er zu einem der besten Sportler der Schule wurde, und sein sportlicher Erfolg machte ihn allgemein beliebt. Er hatte Spaß an Football und Basketball, aber während die übrigen Mannschaftskameraden auch ihre Freizeit miteinander verbrachten, blieb er lieber allein. Einige wenige fanden ihn arrogant; die meisten aber dachten nur, er sei wohl etwas schneller gewachsen als die anderen. Er hatte hier oder da eine Freundin in der Schule, doch keine war ihm wichtig gewesen. Bis auf eine. Und die kam nach der Reifeprüfung.
    Allie. Seine Allie.
    Er entsann sich, mit Fin über Allie gesprochen zu haben, nachdem sie das Stadtfest an jenem ersten Abend verlassen hatten. Fin hatte gelacht und dann zwei Dinge vorausgesagt: Sie würden sich ineinander verlieben, und es würde nicht gut ausgehen.
    Er fühlte ein leichtes Zerren an der Angelschnur und hoffte, es wäre ein Barsch, doch das Zucken hörte auf. Nachdem er die Angel eingeholt und den Köder überprüft hatte, warf er sie wieder aus.
    Fin sollte mit seinen beiden Voraussagen recht behalten. Den ganzen Sommer mußte Allie vor ihren Eltern Ausreden erfinden, wenn sie ihn sehen wollte. Nicht daß sie ihn nicht mochten - er stammte eben nur aus einer anderen Gesellschaftsschicht, war zu arm, und sie würden es niemals dulden, daß ihre Tochter sich mit jemandem wie ihm ernsthaft einließ.

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