Wie ein einziger Tag
»Es ist mir gleich, was meine Eltern denken. Ich liebe dich und werde dich immer lieben«, hatte sie gesagt. »Wir finden schon einen Weg, um beisammenzusein.«
Doch das war nicht möglich gewesen. Anfang September war der Tabak geerntet, und ihr blieb nichts anderes übrig, als mit ihren Eltern nach Winston-Salem zurückzukehren. »Nur der Sommer ist vorüber, Allie, nicht unsere Liebe«, hatte er beim Abschied gesagt. »Sie wird nie aufhören.« Doch es sollte anders kommen. Er hatte nie verstanden warum, aber all seine Briefe waren unbeantwortet geblieben.
Schließlich beschloß er, New Bern zu verlassen, um auf andere Gedanken zu kommen, aber auch deshalb, weil seine Heimat besonders schwer von der Weltwirtschaftskrise betroffen war. Er ging zunächst nach Norfolk und arbeitete sechs Monate auf einer Schiffswerft, bis er entlassen wurde, und zog dann weiter nach New Jersey, weil er gehört hatte, daß die Lage dort weniger hoffnungslos sei.
Dort fand er schließlich eine Stelle auf einem Schrottplatz, wo er Altmetall von anderen Materialien aussondern mußte. Der Eigentümer, ein Jude namens Morris Goldman, war darauf aus, so viel Altmetall wie möglich anzusammeln, denn er war überzeugt, daß Europa kurz vor einem Krieg stand, in den auch Amerika hineingezogen würde. Die Gründe waren Noah unwichtig. Er war nur froh, eine Stelle gefunden zu haben.
Seine Jahre im Holzlager hatten ihn gekräftigt, und er arbeitete hart. Das half ihm nicht nur, Allie tagsüber aus seinen Gedanken zu verdrängen, er hielt es auch für seine Pflicht. Sein Vater hatte immer gesagt: »Guter Lohn verlangt gute Arbeit. Alles andere ist Diebstahl.« Diese Einstellung gefiel seinem Chef. »Ein Jammer, daß du kein Jude bist!« pflegte Goldman zu sagen. »Sonst bist du ein feiner Kerl.« Das war das größte Kompliment, das er von Goldman erwarten konnte.
Er dachte weiter an Allie, vor allem nachts. Er schrieb ihr einmal im Monat, ohne jemals eine Antwort zu erhalten. Schließlich schrieb er einen letzten Brief und zwang sich zu akzeptieren, daß der Sommer, den sie miteinander verbracht hatten, das einzige Gemeinsame für sie gewesen sein sollte.
Und doch konnte er sie nicht vergessen. Drei Jahre nach diesem letzten Brief reiste er nach Winston-Salem in der Hoffnung, sie zu finden. Er ging zu ihrem Haus, stellte fest, daß sie umgezogen war, und rief, nachdem er mit mehreren Nachbarn gesprochen hatte, bei R. J. Reynolds an. Das Mädchen am Telefon war neu und kannte den Namen nicht, doch sie durchsuchte die persönlichen Unterlagen. Sie fand heraus, daß Allies Vater die Firma verlassen und keine neue Adresse angegeben hatte. Diese Reise war sein erster und letzter Versuch, sie ausfindig zu machen.
Acht Jahre war er bei Goldman beschäftigt, zunächst einfach als einer von zwölf Angestellten, mit der Zeit aber vergrößerte sich die Firma, und er wurde befördert. Bis 1940 hatte er sich so weit hochgearbeitet, daß er vom Ankauf bis zum Verkauf sämtliche Geschäfte abwickeln konnte und einer Belegschaft von dreißig Mann Vorstand. Die Firma Goldman war zum größten Altmetallhändler der ganzen Ostküste geworden.
In dieser Zeit hatte er mehrere Liebschaften, darunter eine längere - eine Kellnerin mit tiefblauen Augen und seidigem schwarzen Haar. Obwohl sie zwei Jahre befreundet waren und eine gute Zeit miteinander hatten, empfand er für sie nie das gleiche wie für Allie.
Doch auch sie konnte er nicht vergessen. Sie war einige Jahre älter als er, und sie war es, die ihn lehrte, wie man einer Frau Genuß bereitet, wie man sie berührt und küßt, welche Liebesworte man flüstert. Sie verbrachten bisweilen ganze Tage im Bett und liebten sich auf eine Weise, die beiden Befriedigung brachte.
Sie hatte gewußt, daß es nicht für immer sein würde. Als sich ihre Beziehung dem Ende näherte, hatte sie einmal zu ihm gesagt: »Ich wünschte, ich könnte dir geben, wonach du suchst, doch ich weiß nicht, was es ist. Da ist etwas in dir, das du vor jedem verschlossen hältst, auch vor mir. Es ist so, als wäre ich gar nicht die, bei der du wirklich bist. Deine Gedanken sind bei einer anderen «
Er versuchte, es abzustreiten, doch sie glaubte ihm nicht. »Ich bin eine Frau - ich spüre so was. Manchmal, wenn du mich anschaust, fühle ich, daß du eine andere siehst. Als wartetest du darauf, daß sie plötzlich aus dem Nichts auftaucht und dich von all dem hier wegführt…« Einen Monat später suchte sie ihn an seinem
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