Wie ein Hauch von Zauberblüten
Holzhocker, nahm, was selten vorkam, ihre Brille ab und blickte auf die geschlossene Tür. Soll ich Pater Mooslachner anrufen? fragte sie sich. Er hat mich dazu verpflichtet: Wenn irgend etwas in der Praxis passiert, was nicht normal ist: Ruf an! Ich bin sofort da! – Jetzt war so eine Situation, aber sie wagte nicht, sich von der Stelle zu rühren. Sie schob den Kopf vor und lauschte. Aber vom anderen Zimmer drang kein Laut herüber. Es war eine besonders dicke Tür; die Wartenden sollten nicht hören, wenn jemand aufheulte, der eine Spritze bekam. Das war nicht ungewöhnlich, vor allem dann nicht, wenn es Urulele war, der mit dem fröhlichsten Gesicht die Injektionsnadel in den Muskel drosch.
Luba Magdalena wartete. Das Zucken um ihren Mund verstärkte sich, obwohl sie sich zwang, keine Regung zu zeigen.
»Du erkennst mich nicht?« fragte der Mann.
»Nein! Wer bist du?«
»Es ist viel Zeit vergangen, das stimmt.« Seine Stimme bekam einen zärtlichen Klang. Er ging hinüber zum Fenster, schloß es und lehnte sich dagegen. »Als du geboren wurdest, habe ich die blutigen Tücher und Laken gewaschen und zum Trocknen aufgehängt. ›Paß auf sie auf!‹ hat dein Vater zu mir gesagt, ›wenn ihr etwas geschieht, schlage ich dir den Kopf ab!‹ Und dann habe ich dich in einem geflochtenen Wagen herumgefahren; wir saßen viel im Schatten des alten Affenbrotbaumes oder auch im Mopane-Wald. Als du zum erstenmal herumkrochst, bin ich vorausgekrochen und habe aus deinem Weg den Staub weggewedelt, die Ameisen, die Käfer, die Würmer. Dann konntest du gehen, bei mir hast du es gelernt, und an meiner Hand habe ich dich ins Haus geführt, und deine Mama hat geweint vor Freude, und dein Vater hat mir ein Schwein geschenkt. Dann bekamst du einen Hund …«
»Wurschtl. Ein deutscher Dackel …« sagte Luba tonlos.
»Ich war immer um dich. Du hast auf meinem Schoß gesessen und ein Windrad in den Wind gehalten, du hast mit mir die Bilderbücher durchgeblättert, und ich habe zu dir gesagt: Das ist ein Elefant – das ist ein Löwe – das ist ein Zebra – das ist ein Wildebeest – das ist ein Springbock … Und dann habe ich einen Wagen gebaut, einen kleinen, zweirädrigen Karren, und einen Strauß hatte ich abgerichtet, den konnte man davorspannen, und so fuhren wir über das Veld, bis wir eines Tages umkippten und dein Vater den Straußenkarren verbot. Ich habe dir auch das Schwimmen beigebracht, heimlich, im Wasserreservoir, und als du es konntest und vorführtest, hätte dein Vater mir wirklich bald den Kopf abgeschlagen!«
»Simon Otje!« stammelte Luba und breitete die Arme weit aus. »Du bist Simon Otje! Oh, Simon!«
Sie stürzte zu ihm, umarmte ihn und fing leise zu weinen an. Otje streichelte ihr Haar, legte die Arme um ihren zuckenden Rücken und drückte sie an sich. Er wartete, bis sie sich ausgeweint hatte. Es war ein Schock für sie, von dem sie sich erst lösen mußte.
»Oh, Simon«, sagte sie endlich. Sie angelte nach dem Handtuch, wischte ihr Gesicht von den Tränen frei und tupfte sich die Augen aus. »Ich – ich hätte dich nie wiedererkannt.«
»Damals warst du vier Jahre, Luba. Da bin ich weggegangen.«
»Das stimmt. Plötzlich warst du nicht mehr da. Ich bin durch das Haus gelaufen, durch den Garten, über die Farm und habe immer gerufen: ›Simon, wo bist du? Versteck dich nicht! Komm heraus! Simon, wo bist du?‹ Bis mir mein Vater sagte: ›Simon ist weg und kommt nie wieder.‹ – Mehr hat er nicht gesagt. Keine Erklärung. Du warst einfach weg.« Sie sah ihn betroffen an. »Was ist damals passiert, Simon? Warum bist du so plötzlich verschwunden?«
Otje blickte an Luba vorbei aus dem Fenster. »Es mußte sein!« sagte er ausweichend.
»Das ist keine Antwort, Simon! Ich weiß: Freiwillig hättest du mich nie verlassen.«
»Nie! Du warst für mich eher mein Kind als das deiner Eltern. Aber ich konnte nicht bleiben.«
»Warum? Kannst du es jetzt, nach achtzehn Jahren, noch immer nicht sagen?«
»Ich – ich hatte jemanden getötet«, sagte Otje dumpf. Er wandte sich ab, als könne er Luba nicht mehr in die Augen blicken. »Mit einer Axt habe ich ihm den Schädel gespalten. Bis auf die Schultern, wie ein Stück Holz, in zwei Hälften. Dein Vater hielt es für richtig, mich sofort ins Ovamboland in Sicherheit zu schicken. Seitdem lebe ich in Oshigambo.«
»Wen hast du getötet?« fragte Luba tonlos. »Wenn mein Vater dich nicht der Polizei übergeben hat … Wen hast du getötet?«
Simon
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