Wie ein Hauch von Zauberblüten
wirklich eine Mumie, dachte Oppermann betroffen. Oder besser: ein Schrumpfkopf. Wie kann so etwas leben?
»Ich möchte mit Ihnen sprechen, Sir«, sagte die Mumie in einem sehr guten Englisch. »Ist das möglich?«
Geradezu verwirrt von dieser höflichen Anrede, sprang Dr. Oppermann auf. »Aber ich bitte Sie!« antwortete er und machte eine einladende Handbewegung. »Treten Sie näher! Ich heiße Sie bei mir willkommen, Herr Kollege. Darf ich Sie zu einer Tasse Kaffee und zu Kuduschinken mit Spiegeleiern einladen? Marcus, noch ein Gedeck! – Ich bin Richard Oppermann.«
»Ich heiße Benjamin Lakongo. Ich möchte nichts essen und nicht trinken. Danke.«
Der alte Mann betrat das Vorzelt.
Urulele starrte ihn wie einen bösen Geist an und rührte sich nicht vom Fleck.
»Wenigstens eine Tasse Kaffee?«
»Nein! Ich hasse Sie!«
»Das ist ein ehrliches Wort!« Dr. Oppermann zeigte auf einen Stuhl, aber der Alte blieb stehen und setzte seinen breiten grauen Filzhut wieder auf. »Darüber kann man unter Männern und vor allem Kollegen sprechen. Aber dazu sollten wir einen Schnaps trinken. Lehnen Sie den auch ab?«
»Was für einen Schnaps?« Der Schrumpfkopf zeigte Interesse.
»Gut gekühlt aus meiner Kühlbox. Marcus, welchen Schnaps haben wir?«
»Einen – einen Genever …« sagte Urulele. Es klang so dumpf, als stecke er in einer Röhre.
»Genever? Akzeptiert!« sagte die Mumie und das Gesicht zerknitterte noch mehr. »Das ändert aber nichts daran, Dr. Oppermann, daß ich Sie hasse.«
Der Kranke, dem Franziska Maria Nkulele in ihrer Patientenkartei die Nummer 672 N gab – das N bedeutete ›normal‹, es war also kein Fall der rätselhaften Infektion – war der letzte an diesem Tag.
Er hatte alle anderen, die nach ihm in die Ambulanz gekommen waren, höflich vorgelassen. »Geht nur, ich habe keine Eile!« hatte er gesagt. »Ich habe auch keine Schmerzen wie ihr, geht nur vor!«
So hockte er geduldig an der Wand, bis alle anderen von Luba Magdalena Olutoni versorgt worden waren, kaute an einem Stückchen Süßholz und spuckte ab und zu die zerkauten Späne durch das Zimmer. Das nahm ihm keiner übel, weil er so freundlich gewesen war, sein Anrecht auf die anderen weiterzugeben. Erst als der letzte im Ordinationszimmer verschwunden war, straffte er sich aus seiner Hockhaltung und bewegte Beine, Arme, Oberkörper und Becken, als sei ihm bei dem langen Warten der ganze Körper steif geworden. Er war ein mittelgroßer, etwas krummbeiniger Mann mit einem alltäglichen Ovambogesicht, so wie Tausende aussehen, die auf den Farmen, in den Fabriken und Gruben arbeiten. Nur eins unterschied ihn sichtbar von der Masse: ihm fehlte das linke Ohr. Wo die Ohrmuschel gesessen hatte, sah man nur noch einen narbigen, verknorpelten Knoten, der sich halb über die Öffnung des Gehörgangs schob. Der Mann trug einen Kombianzug: hellgraue Hose und dunkelbraunen Blazer. Das Oberhemd war weiß und schien neu zu sein. Wenn man zum Doktor geht, macht man sich fein, das war auch die Ansicht der gebildeten Eingeborenen.
Die Tür ging auf, der vorletzte Patient kam heraus, mit einem neu verbundenen Kopf; die weißen Mullbinden leuchteten. Stolz, als sei er soeben gekrönt worden, ging der Mann an dem Wartenden vorbei. Solch ein Kopfverband ist etwas Schönes und Nützliches: Jeder sieht, wie krank man ist! Man braucht nicht zu arbeiten, kann sich in den Schatten setzen und die Wonne genießen, den andern bei ihrem Tagewerk zuzusehen. Man bekommt zu essen, ohne etwas dafür getan zu haben, und wenn man herumgeht, sich vielleicht noch auf einen dicken Stock stützt und leicht wankt, kann man sicher sein, daß die ganze Familie für einen sorgt.
Nkulele steckte den Kopf durch die Tür und ließ ihre Straßbrille funkeln. Nur noch einer, dachte sie. Gott sei Dank! Das war ein schlimmer Tag gewesen. Keine Ruhe, einer nach dem anderen, wie auf einem Fließband waren sie an Luba vorbeigezogen, als habe es sich herumgesprochen, daß man bei der schönen Olutoni erfolgreicher um ein Medikament betteln kann als bei dem Doktor. Der sagte nur: »Halt den Mund! Ich weiß besser, was dir gut tut!« Da gab es keine Diskussionen, denn der Doktor hatte ja doch immer recht. Aber mit dem Fräulein konnte man verhandeln.
Drei Tage war Dr. Oppermann nun schon unterwegs. Wann er wiederkam, war völlig ungewiß. Luba rief in Okaukuejo an. Dort reichte man sie an einen Frank Bostel weiter, der sie wenig ermutigte: »Dr. Oppermann liegt zwischen
Weitere Kostenlose Bücher