Wie ein Hauch von Zauberblüten
neben seiner Frau und wartete, bis der Häuptling den Blick hob.
»Es wird blind werden«, sagte er dann mit unbewegtem Gesicht. »Aber wie kann uns geholfen werden, wenn wir uns verstecken? Es ist, als wenn man einen Speer mit der Spitze nach hinten wirft.«
Nach einer halben Stunde verließ die Abordnung Molongos Hütte und verteilte sich wieder über das provisorische Dorf. Dr. Oppermann beobachtete sie durch sein Fernglas. Neben ihm brutzelte über dem Gaskocher das Frühstück: Spiegeleier mit gewürfeltem Kuduschinken. Dazu gab es – noch frisches – Weißbrot aus der Frischhaltedose und eine große Thermoskanne mit starkem, schwarzem Kaffee.
»Was haben sie in der Hütte gemacht?« fragte Oppermann. Urulele rührte in den Schinkenwürfeln, damit sie gleichmäßig anbrieten.
»Es ist ein Palaver. Sie entscheiden, was mit der Frau geschieht.« Er stach die Eidotter auf, damit es schöne, breite, zerfließende Spiegeleier gab. »Wir werden es gleich sehen.«
»Sie prügeln sie öffentlich aus?«
»Natürlich. Es geht ja um die Ehre aller …«
Wieder rang Dr. Oppermann mit sich, ob er Okaukuejo anrufen und Jack Bostel um Hilfe bitten solle. Vielleicht lachte Bostel nur und sagte: Lieber Doktor, halten Sie sich da raus! Das ist eine Familienangelegenheit! Oder stürmen Sie in Hamburg auch jedes Haus, in dem ein Mann seine Frau versohlt? Du lieber Himmel, das gäbe einen Masseneinsatz rund um die Uhr! Wir setzen uns doch keine Laus in den Pelz, wir riskieren doch keinen politischen Rummel wegen einer Ehestreitigkeit. Später heißt es dann in deutschen Magazinen: ›Weiße Wildhüter hetzen schwarze Nomaden durch den Salzsee! Neue Brutalitäten gegen schwarze Minderheiten!‹ – Ich kann mich bremsen, Doktor! Gucken Sie weg oder beobachten Sie die Zebraherden. Ein Tip: Eine Herde von viertausend Zebras zieht in Ihr Gebiet. Das haben die letzten Beobachtungen ergeben …
Warum also anrufen? Wegen einer normalen Prügelei?
Normal? Dr. Oppermann sog die frische Morgenluft und den Geruch von Spiegeleiern mit Speck in die Nase. Eine Mutter war aus Sorge um ihr krankes Kind zu ihm, dem Arzt, geschlichen. Und jetzt sollte sie für diese Untat verprügelt und verstoßen werden. Das beleidigte seinen Begriff von ärztlicher Ethik, das war ein Vorfall, den man nicht verallgemeinernd beiseite schieben konnte.
»Ich gehe hinüber!« sagte er und erhob sich von seinem Klappstuhl. »Sie werden mich nicht umbringen.«
»Sie werden sich selbst umbringen, Master Doktor!« Urulele drehte die Gasflamme kleiner. Das Fett spritzte aus der Pfanne und wurde zu dunkel. »Sie müßten durch die Speere hindurch. Niemand würde zustoßen, aber wenn Sie weitergehen, in die Spitzen hinein, ist das Ihre Sache.«
Urulele hatte gerade das Frühstück auf dem großen Tisch serviert und den dampfenden Kaffee eingeschenkt, als drüben bei den Ovambos wieder Bewegung entstand. Aber man schleifte keine junge Frau in die Mitte des provisorischen Dorfes, um sie auszupeitschen; es löste sich nur aus einer Gruppe ein einzelner Mann und näherte sich gemessenen Schrittes dem Zelt unter der breiten Schirmakazie.
Der Mann schien sehr alt zu sein; er stützte sich auf einen knorrigen Stock, dessen Griff mit Leopardenfell umwickelt war, beim Gehen zog er das linke Bein stark nach, er konnte es kaum von der Erde heben. Er trug einen alten, viel zu weiten schwarzen Anzug, ein ehemals weißes Hemd, dessen Kragen er geschlossen hatte, und auf dem Kopf einen breitkrempigen, dunkelgrauen Hut mit einem grünen Band. In dem Band steckte die mumifizierte Kralle eines Aasgeiers. Das Auffälligste an ihm aber war, daß er zu dem schwarzen Anzug einen breiten roten Schlips trug, was von weitem den Eindruck erweckte, er blute fürchterlich aus dem Hals. An den Füßen leuchteten weiße Turnschuhe.
Je näher er dem Zelt kam, um so höher reckte er sich. Dr. Oppermann konnte jetzt auch sein Gesicht unter der breiten Krempe erkennen: der Kopf einer Mumie, ein Labyrinth von Falten, das sich zu einer eben noch als solcher erkennbaren menschlichen Physiognomie zusammenfand.
»Jetzt wird es ernst«, sagte Urulele, der hinter Dr. Oppermann stand, mit leiser, fast ehrfürchtiger Stimme. »Der Medizinmann selbst kommt zu uns!«
»Das ist eine ganz besondere Ehre, wie?«
»Das ist so selten wie eine satte Hyäne.«
Der alte Mann blieb sieben Schritte vor dem Vorzelt stehen und nahm höflich den grauen Filzhut ab. Sein Kräuselhaar war schneeweiß. Er ist
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