Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
Vom Netzwerk:
Beinen«, sagte er unvermittelt. »Wie geht es eigentlich Ihrem Mann? In einer jungen Ehe sollte man nicht so viel arbeiten. Ist es nicht interessant, dass Sie die einzige Redakteurin in meiner Abteilung sind?« Lächelnd fügte er hinzu: »Politikjournalismus ist doch eher etwas für Männer.«
    Im Haus ihrer Pflegeeltern war nie über Politik gesprochen worden, auch wenn jedem Familienmitglied im mündigen Alter klar war, dass man CDU zu wählen hatte. Bis zu diesem Gespräch im Journalistenclub hatte sie sogar selbst noch geglaubt, Politik sei nur etwas für Politiker und nicht Teil ihrer eigenen Welt. Jetzt wurde ihr mit einem Mal bewusst, dass nichts unpolitisch war, ob sie es wollte oder nicht. Weder ihre harmlose Premierenkritik über das linksorientierte Berliner Kindertheater »Grips«, die der Chefredakteur ablehnte, da sie positiv war, noch die Befragung zu den Kinderläden. Nur, wo stand sie selbst? Sie war entschlossen, das herauszufinden. Reichlich spät, wie sie sich eingestehen musste.
    Sie schwieg, als sich der Chefredakteur mit den Worten von ihr verabschiedete: »Überlegen Sie sich das mal mit der Doppelbelastung, schließlich wollen Sie bestimmt noch Kinder.« Sie schwieg auch, als er sie nach diesem Gespräch eine Woche lang jeden Tag in sein Büro bestellte, um ihr seine Enttäuschung darüber auszudrücken, dass ihre Beiträge plötzlich schlecht geschrieben seien. Er hatte wohl mit ihrer Empörung über die Durchsichtigkeit dieser Behauptung gerechnet, aber nicht mit ihr. Sie ließ sich nicht provozieren. Sie wollte den Tag ihres Ausscheidens aus dem Konzern selber bestimmen. Erst zu Hause kamen die Tränen, die sich unter dem Druck des Erlebten aufgestaut hatten. Ihr Mann tröstete sie, obwohl ihn diese Entwicklung nicht überraschte.
    Drei Monate vor Jahresende reichte sie fristgerecht ihre Kündigung ein. Ihr entging die Weihnachtsgratifikation, die für die Redakteure des Springer-Verlags in diesem Jahr aus einem Fernsehapparat und einem Delikatessenkorb bestand. Das Weihnachtsgeschenk von Springer, das ihr schließlich doch noch in den Schoß fiel, war ungleich wertvoller, auch wenn sie es nicht annehmen konnte. Der Chefredakteur rief sie zu sich und bat sie, mit der Aussicht auf eine beachtliche Gehaltserhöhung, ihre Kündigung zurückzuziehen. Leicht fiel ihm das nicht. Eine regelmäßig durchgeführte hausinterne statistische Erhebung hatte ergeben, dass ihre im Axel-Springer-Inland-Dienst erschienenen Artikel von den Springer-Blättern am häufigsten abgedruckt worden waren. Sie blieb bei ihrer Kündigung und ging.
    Sie hatte keine Angst mehr davor, eine neue Anstellung zu finden, eine, die sie, das hatte sie inzwischen begriffen, in Zukunft mit Bedacht wählen würde. Sie war selbstbewusster geworden seit damals, als sie aus Frankfurt geflüchtet war. Sie fühlte sich frei, aber sie war es noch nicht. Die Nabelschnur war noch nicht durchtrennt.
    Was ihren zweiten Mann und sie seit dem überstürzten Aufbruch aus Frankfurt zusammengeschweißt hatte, der Halt, den jeder im anderen suchte und zunächst auch fand, die Fixierung aufeinander, führte in dem Maße, in dem sie mehr und mehr ihren eigenen Interessen nachging und sich allmählich aus der Ausschließlichkeit der emotionalen Nähe zu ihm zu lösen begann, zur Entfremdung zwischen ihnen. Als die junge Frau ihre nächste Stelle als Redakteurin bei der Berliner Tageszeitung »Der Abend« antrat und darin aufging, war das Ende der Ehe vorgezeichnet. Sie hatte das Koordinatensystem, auf dem ihre ebenso symbiotische wie fragile Beziehung beruhte, in Frage gestellt und damit die Spielregeln gebrochen. Wieder hatte sie es nur vier Jahre in einer Ehe ausgehalten.
    Nachdem sie die Scheidung wie erwachsene Menschen hinter sich gebracht hatten und danach noch gemeinsam in einem Café um die Ecke saßen, gestand er ihr, dass er sie mit ihrer Sekretärin im Verlag betrogen hatte. Die Wahl der Geliebten und der Zeitpunkt des Bekenntnisses waren kein Zufall, aber es war auch nicht mehr wichtig. Was am Ende zählte, beruht darauf, dass sie in einem entscheidenden Moment ihrer beider Leben füreinander da gewesen waren. Liebe hat keinen Anspruch auf Ewigkeit, wohl aber Freundschaft. Als sie ihn Jahrzehnte später nach einem schweren Herzinfarkt an seinem Krankenbett besuchte, an das seine zweite Frau sie gerufen hatte, begegneten sie einander voller Wärme und Vertrautheit.

Dritter Ort
    Die Baracke am Bach
    Hofheim, die Apotheke, die beengten

Weitere Kostenlose Bücher