Wie ein Haus aus Karten
des Kaufhauses Ruschkewitz und des dazugehörigen »Kleinpreisgeschäftes« Merkur, von der ihm seine Mutter eindringlich abrät.
Necko setzt sich über alle Bedenken hinweg, und er nennt auch einen Grund. Es ist die Geburt seines ersten Sohnes am 26. Oktober 1935, die auf den Tag der Übernahme der jüdischen Kaufhäuser fällt. Mein Pflegevater schreibt: »Mein Sohn sollte einmal stolz sein dürfen auf seinen tüchtigen Vater.« Und wieder kommt Neckos eigener Vater Josef Carl ins unbewusste Spiel. Wenn dieser schon nicht stolz auf seinen Sohn Josef gewesen ist, so soll sein eigener Sohn Peter wenigstens stolz auf seinen Vater sein können. Dass ein Ariseur, wie sich Josef in seinen Erinnerungen selbst bezeichnet, jemand ist, auf den man stolz sein kann, ist schwer nachzuvollziehen. Am 14. November 1935 wird, nach zuvor erteilter Genehmigung der NSDAP , der Kaufvertrag rechtskräftig.
Die ersten beiden Geschäfte eines jüdischen Eigentümers erwirbt mein Pflegevater noch in seiner Heimatstadt Würzburg; 1938 zieht es ihn nach Berlin, wohin er nicht nur seinen Schwiegereltern Brückner, sondern auch seiner Schwester Mady und deren Familie folgt. Necko schreibt: »Dr. Hans Lang hatte sich dort eine Bekleidungsfirma gekauft, da aus politischen Gründen an eine Wiederaufnahme seiner Anwaltstätigkeit nicht zu denken war.«
In Berlin erwirbt mein Pflegevater im Juli 1938 nach zähen Verhandlungen und unter Ausschaltung zahlungskräftiger Mitbewerber das Versandhaus des jüdischen Kaufmanns Karl Amson Joel. Dessen Firma gehört damals neben Witt, Quelle und Schöpflin zu den Großen der Branche. Bereits am 1. September 1938 teilt der frischgebackene Firmeninhaber seiner neuen Kundschaft mit, dass »ich die Wäschemanufaktur Karl Joel übernommen habe und als Wäsche- und Kleiderfabrik Josef Neckermann Textil-Versandhaus« weiterführe.
Necko liegt im traurigen Trend. Im Herbst 1938 befinden sich von ehemals 100 000 Betrieben jüdischer Inhaber nur noch 40 000 in den Händen ihrer rechtmäßigen Besitzer. Ab dem 1. Januar 1939 ist deutschen Juden »das Betreiben von Einzelhandelsgeschäften und Handwerksbetrieben sowie das Anbieten von Waren und Dienstleistungen« gänzlich untersagt.
Es klingt fast wie die Beschreibung eines sportlichen Wettkampfs, wenn Necko, kurz nachdem er Firma und Privatbesitz von Karl Amson Joel arisiert hat, diesem bescheinigt, dass er sich »unter den gegebenen Umständen … tapfer gehalten habe.« Auch die Tatsache, dass Josef schon bald in das Haus seines Vorgängers einzieht, eine herrschaftliche Villa in der Tannenbergallee in Charlottenburg, welche die Familie Joel fluchtartig verlassen muss, entlockt ihm kein Wort der Schuld oder des Mitgefühls. Im Gegenteil, mein Pflegevater ist stolz auf das neue Zuhause. »Direkt hinter uns der Wald, zauberhaft gelegen«, ist es genau die richtige Umgebung für seine Frau Annemi, die seit ihrer Jugend an Bronchialasthma leidet. Auch sie ist glücklich, vor allem als ihr Blüthner-Flügel, der ihr aus Würzburg nachgeschickt wird, in der Tannenbergallee eintrifft.
Es sind von Anfang an ungleiche Gegner, der mehr als zwanzig Jahre ältere jüdische Kaufmann Karl Joel, der unerschütterlich daran glaubt, dass er als überzeugter Patriot und verdienter Kriegsveteran nichts vom Nazi-Regime zu befürchten habe, und der aufstrebende »arische« Jungunternehmer Josef Neckermann, der so auf seine Karriere fixiert ist, dass er das Unrechtssystem dieser Zeit nicht wahrgenommen haben will.
Unter anderen Vorzeichen hätten sich diese beiden gewieften und erfolgreichen Kaufleute sogar näherkommen können. Es gibt tatsächlich Gemeinsamkeiten: Da ist zum Beispiel die fränkische Herkunft. Karl Joel wächst in der Gemeinde Colberg bei Ansbach auf und Josef Neckermann in der Bischofsstadt Würzburg. Beide Männer haben in Meta Joel und Annemi Neckermann loyale Ehefrauen mit Familiensinn, die den kulturellen Rahmen prägen. Da gibt es die gemeinsame Vorliebe für herrschaftliche Villen im Grünen wie für das häusliche Klavierspiel, auch wenn es bei den Joels Vater Karl Amson ist, der in die Tasten greift, und bei den Neckermanns Ehefrau Annemi. Beide Familien bewundern Richard Wagner und seine Musik, ausgenommen Necko, dem alles Musische fremd ist.
Die Männer teilen dagegen ihre Begeisterung für amerikanische Straßenkreuzer, nicht nur als reines Fortbewegungsmittel, sondern als sichtbares Zeichen ihrer gesellschaftlichen Position. Ob Necko aufgrund der
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