Wie ein Haus aus Karten
Tatsache, dass Karl Joel bereits Mitte der 30er Jahre einen eleganten, raumgreifenden Buick besitzt, seinen am Status orientierten Fuhrpark ebenfalls um einen Buick erweitert, ist ungewiss, nicht aber unmöglich. Eine weitere Parallele bildet der Umzug beider Unternehmer mit ihren Familien nach Berlin, um dort beruflich neu durchzustarten. Es wird für Karl Joel und Josef Neckermann wohl kaum eine Gelegenheit gegeben haben, sich über ihre Gemeinsamkeiten auszutauschen, denn sie begegnen sich nie im privaten Umfeld, sondern nur als Konkurrenten.
Esist von Anfang an ein ungleiches Spiel, das bereits vor dem ersten Zug entschieden ist. Der Biographie Die Joel-Story – Billy Joel und seine deutsch-jüdische Familie von Steffen Radlmaier (München 2009), die sich wie ein spannender Kriminalroman liest und doch bestürzende Wahrheit ist, verdanke ich viele mir bis dahin unbekannte Fakten der Arisierung wie auch der Wiedergutmachungsprozesse Joel gegen Neckermann, bei denen es um Millionenbeträge geht und die sich bis in die ausgehenden 50er Jahre erstrecken. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass »Selbstzweifel und Schuldgefühle kurz nach Kriegsende«, wie Radlmaier schreibt, »schnell vergessen« waren. Er fährt fort: »Und nach der Währungsreform 1948 machte sich in weiten Teilen der Bevölkerung Unmut über die andauernde Entnazifizierung und Entschädigungszahlungen breit.«
Für die Akten endet der Fall Karl Joel gegen Josef Neckermann am 25. März 1959. Die Tatsache, dass Necko in einer Verhandlung vom 24. Januar 1955 die Unwahrheit sagt, ändert nichts am Urteilsspruch. Necko beziffert damals sein Gesamtvermögen auf wenige Hunderttausend Mark, woraufhin eine Abfindungssumme von zwei Millionen Mark festgelegt wird. Wenige Monate danach werden die Bilanzen der Neckermann-Versand KG bekannt, in denen Neckos Privatvermögen auf mehrere Millionen Mark geschätzt wird.
Radlmaier schreibt: »Die Richter befanden den Vergleich zwischen Neckermann und Joel über zwei Millionen Mark angemessen. Sie bewerteten Neckermanns Erinnerungslücken und Falschaussagen als nicht relevant.« Der Autor bemerkt dazu an anderer Stelle: »Moral, Menschlichkeit und Verantwortung wurden nicht verhandelt.« Josef Neckermann wird juristisch freigesprochen, moralisch hat er es selbst längst getan.
Was für meinen Pflegevater das positive Ende eines jahrelangen, belastenden Rechtsstreits bedeutet, das neue Energien für seine berufliche Karriere freisetzt, ist für Karl Joel das unternehmerische Aus. Für einen Neustart fühlt er sich zu alt. Karl Joel stirbt 1982 elf Jahre nach dem Tod seiner Frau im Alter von 93 Jahren und wird auf dem jüdischen Friedhof in Nürnberg beerdigt.
Als zehn Jahre später auch Josef Neckermann stirbt, holt der Fall Joel die Familie noch einmal ein. In einem Leserbrief in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom 21. Januar 1992 erinnert Professor Dr. Jens M. Fischer daran, dass Josef Neckermann von dem jüdischen Kaufmann Karl Joel das drittgrößte deutsche Versandhaus gekauft habe, als dieser das Land verlassen musste. Und er fährt fort: »Wer also wie Josef Neckermann 1937 ein jüdisches Versandhaus kaufte, war Nutznießer eines Staatsverbrechens und musste sich über die Begleitumstände im Klaren sein, denn er kaufte von Erniedrigten, Beleidigten und Entrechteten.«
Es bleibt nicht bei diesem Leserbrief. Im Rahmen der preisgekrönten Fernsehdokumentation »Die Akte Joel« von Beate Thalberg kommt es 2001 zu einer Begegnung der Nachkommen. Die Neckermann-Enkel, tatsächlich nur die Kinder von Johannes und Ingrun Neckermann, Julia, Markus und Lukas, treffen auf die Enkel von Karl Joel, Alexander und Billy, der zu diesem Zeitpunkt bereits eine weltweit bekannte Rock-Ikone ist.
Mein Stiefbruder Johannes, der sich im Laufe der Jahre zum Sprecher der Neckermann-Familie gemacht hat und Medienauftritte routiniert und dankbar wahrnimmt, hat seine Kinder sicher auf diesen Auftritt vorbereitet. Dass Peter und Jutta Neckermann, die öffentlichen Auftritten ohnedies nicht viel abgewinnen können, ihre Kinder Susanne und Christian nicht in den Ring geschickt haben, weil sie ahnen, wie ungleich das Zusammentreffen ausfallen würde, kann ich nur vermuten.
Steffen Radlmaier schreibt über diese Sendung: »Sichtlich unwohl sitzen sich die fünf gegenüber und haben sich wenig zu sagen. Die Kategorien von Opfern und Tätern passen ebenso wenig wie die von Anklägern und Angeklagten. Ihre Familiengeschichten
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