Wie ein Haus aus Karten
dein Großvater nicht in Berlin.«
Ist es der Glaube meines Vaters, dass er unverwundbar sei, der ihn so unverantwortlich handeln lässt und dabei andere in Gefahr bringt? Scheut er, der Spieler, auch nicht vor dem Einsatz seiner Freunde zurück? Fragen, die schwer wiegen und noch schwerer zu beantworten sind, besonders für mich, die ich ihn nur zu gern freisprechen würde. Eines ist wohl sicher: Mein Vater ist zutiefst davon überzeugt, dass das, was er sich vornimmt, auch gelingt. Es scheint, und dies wird in allen Gesprächen, die ich während meiner Nachforschungen führe, deutlich, dass er die Menschen seiner Umgebung, Männer wie Frauen, nicht nur für sich einnimmt, sondern auch einen untrüglichen Instinkt dafür hat, wie er sie für seine Ziele einspannen kann. Mehr als ein halbes Jahrhundert später kommt es selbst seiner ehemaligen Sekretärin und Verbündeten, Ruth Gatzke, dieser klugen, lebenserfahrenen und mutigen Frau, nicht in den Sinn, dass mein Vater sie leichtfertig in Gefahr gebracht haben könnte. Er ist für sie noch immer der unwiderstehliche und geniale Gauner und Gentleman. Was seinem Charisma sicher noch eine besondere Note verleiht, ist sein Erfolg. Dr. Hans Lang ist ein Siegertyp.
Auch mein Pflegevater Josef Neckermann ist ein Siegertyp, und auch er versteht es, mit den Machthabern zu paktieren. Das Reiten bietet dem jungen Josef einen sportlichen Einstieg. Bereits ein Jahr nach Gründung der Reiter-SA tritt Josef 1934 der Organisation bei, »ohne«, wie er in seinen Erinnerungen schreibt, »es recht zu bemerken«. Er stellt wie viele seiner Reiterkollegen aus dieser Zeit seine Pferdeleidenschaft über die Politik. Der unheilvollen Allianz des deutschen Reitsports mit dem Dritten Reich, in dessen Netz auch Necko verstrickt ist, widmet die Chronik 100 Jahre Pferdesport und Pferdezucht in Deutschland, die 2005 pünktlich zum Jubiläum im Warendorfer FN-Verlag erscheint, ein ganzes Kapitel. Josef Neckermann kommt darin immer wieder vor. Fest steht, der deutsche Reitsport erlangt im Nationalsozialismus, unterstützt von Goebbels’ Propaganda, eine völlig neue politische Dimension. Er avanciert zum Herrensport der arischen Elite. Seit Dezember 1934 ist es Juden verboten, an Reitturnieren teilzunehmen.
Unter den deutschen Reitern ist die Bewunderung für den Führer so groß, dass die deutsche Equipe ihm, nachdem sie 1933 den schwersten Springwettbewerb der Welt, den Nationalpreis von Rom, gewonnen hat, das Siegerpferd Wotan zum Geschenk macht. Hitler telegraphiert seine dankende Ablehnung, macht aber die Rolle deutlich, die er diesem Herrensport zugedacht hat: »So innerlich glücklich mich Ihr großherziger Entschluss gemacht hat, so schwer bedrückt mich die Erkenntnis des Wertes dieses einzigartigen Pferdes und seiner nationalen deutschen Aufgabe.«
Auch Necko erfüllt nicht nur als Mitglied der Reiter-SA seine nationale deutsche Aufgabe. Über seine Reitkünste hinaus hat er als aufstrebender Jungunternehmer in vorauseilendem Gehorsam bereits 1935 Eigentum von Juden arisiert, obwohl die Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben erst im Januar 1939 in Kraft tritt.
Was Necko interessiert, ist, welchen Nutzen ihm seine Kontakte zur Regierung im Hinblick auf die beiden großen Leidenschaften seines Lebens, die Pferde und das Geschäft, einbringen. Um hoch zu Ross den damaligen Stabschef der SA Ernst Röhm bei einem Manöver begleiten zu dürfen – Röhms Adjutant konnte nicht reiten –, lässt sich Necko sogar eine Uniform schneidern. Später dürfte ihm daran gelegen gewesen sein, diese Verbindung vergessen zu machen: Röhm wird aufgrund angeblicher Putschabsichten gegen Hitler am 30. Juni 1934 verhaftet und einen Tag später ohne Gerichtsverhandlung auf Befehl des Führers in seiner Zelle in München-Stadelheim erschossen, nachdem er sich geweigert hat, Selbstmord zu begehen.
Die Kooperation meines Pflegevaters mit der NSDAP beginnt schon bald nach der Machtübernahme und lange bevor ihm im Mai 1937 mitgeteilt wird, dass er »für würdig befunden wurde«, in die NSDAP aufgenommen zu werden. Eine Nachricht, die Josef »ahnungslos« antrifft. Ahnungslos ist Necko nicht, weder als er 1934, damals noch in der Kohlengroßhandlung seiner Mutter, trotz der Warnung seines Vetters und Generals der Luftwaffe Otto Jordan, mit den Machthabern Geschäfte zu machen, im Großraum Würzburg die neuen Fliegerhorste mit Kohle beliefert, noch bei der Arisierung
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