Wie ein Haus aus Karten
damit sie nicht durch weitere Nachforschungen in Bedrängnis gerate. Er verabschiedet sich von ihr mit den Worten: »Mach ein paar Tage Urlaub an der See und steck dir die Haare hoch, sie sind zu auffallend.« Dabei drückt er ihr tausend Mark in die Hand.
Mein Sohn Lukas, der bereits bezüglich der Gestapoakten fündig geworden ist, entschließt sich, Toni Rommel zu besuchen, einen der wenigen Freunde meines Vaters, der zu dem Zeitpunkt noch am Leben ist. Sein Brief an ihn mit der Bitte um ein Treffen berührt mich. Lukas schreibt: »Ich würde es mir nicht verzeihen, wenn ich in der dritten Generation nicht die Initiative ergreifen würde, mit Zeitzeugen und alten Freunden zu sprechen, um Licht in das Halbdunkel dieser Familientragödie zu leiten. Einzig und allein dienen meine Nachforschungen der Suche nach der Wahrheit über meinen Großvater, dessen Ehering nun ich an meiner Hand trage. Wie ich hörte, trug er ihn nie.«
Als Lukas zu Toni Rommel nach Offenbach bei Frankfurt fährt, ist er gerade zwanzig Jahre alt. Es ist das Jahr 1997. Er kommt von dieser Begegnung irritiert und mit drei Kassetten zurück. Vielleicht ist ihm in diesem intensiven Gespräch, das ihn in eine Zeit versetzt, die er nicht aus eigenem Erleben kennt, bewusst geworden, dass sein Großvater in seinem Leben mit allem großzügig umgegangen ist, mit der Liebe, mit dem Geld und mit der Moral. Dass ihm dies offenbar auch jeder zugebilligt hat, ist dem Gespräch mit Toni Rommel zu entnehmen, der sich für das Treffen mit meinem Sohn erst die Erlaubnis der ehemaligen Sekretärin und lebenslangen Vertrauten meines Pflegevaters, Gerda Singer, einholen muss. Seit Necko sie 1948 als Chefsekretärin eingestellt hat, wacht sie erst über ihren Chef und nach dessen Tod über die Neckermann’sche Familien- und Firmengeschichte.
Erst im Sommer 2001 höre ich die von meinem Sohn Lukas aufgenommenen Kassetten ab. Da ist Toni Rommel bereits tot. Sein Leben ist von den beiden Familien Lang und Neckermann geprägt, von denen er sich bis zu seinem Ende nicht lösen kann. Diese lebenslange Verbindung und Verstrickung, erst emotionaler, später auch wirtschaftlicher Natur, beginnt an dem Tag, an dem Toni Rommel meiner Pflegemutter zum ersten Mal begegnet. Nach dem Tod meines Vaters wird Necko dessen alten Freund als Geschäftsführer einer Werbeagentur einsetzen, die Hans Lang kurz zuvor gegründet hat.
Die Qualität der Bänder ist schlecht, aber ich erkenne Toni Rommels Stimme sofort wieder, auch wenn sie brüchig geworden ist und sein Redefluss ab und zu von Hustenanfällen unterbrochen wird. Die Stimme meines Sohnes Lukas klingt offen und freundlich. Der Verlauf des Gespräches macht deutlich, dass Toni Rommel seine anfänglichen Bedenken bald abgelegt hat. Er erzählt viel, und was seine eigene Vergangenheit betrifft, so kann er sich, wie das bei älteren Menschen oft der Fall ist, erstaunlich genau an lang zurückliegende Daten und Einzelheiten erinnern: an den Winter 1928, in dem er Annemi auf der Eisbahn trifft und ihr den Schulranzen nach Hause tragen darf, an seine ersten Flugübungen 1937 und dass die Engländer am 7. Mai 1945 in Hamburg einrücken und er wegen seiner guten Englischkenntnisse Verbindungsoffizier der Briten wird.
Der alte Freund und zeitweilige Weggefährte meines Vaters bemüht sich, die Fragen meines Sohnes genau zu beantworten, selbst wenn er in diesem Gespräch, das ihn sicher angestrengt hat, auf dessen Anmerkungen und Kommentare oft sagt: »Das haben wir nicht gewusst.« Was die beruflichen Transaktionen meines Vaters angeht, trifft das sicher zu, denn Hans habe, wie Toni Rommel berichtet, niemanden in seine Geschäfte und sein sich über Europa, die USA und Südamerika erstreckendes Netzwerk eingeweiht.
Hans besucht seinen Freund Toni Rommel wenige Wochen nach seiner Entnazifizierung in Hamburg, wo dieser bei Unilever als Abteilungsleiter tätig ist. Die Frage seines alten Freundes kommt für Toni überraschend: »Hast du Lust, für mich zu arbeiten?« Er hat Lust. Das Angebot meines Vaters, eine Hamburger Firma für ihn zu übernehmen, ist verlockend. Er stimmt zu.
Dr. Hans Lang kauft die Firma Petersen, die mit Kurzwaren handelt und deren Inhaber gestorben ist. Toni Rommel wird offiziell als Besitzer des Unternehmens eingetragen, von dem aus mein Vater vor allem Geschäfte abwickelt, über die er den von ihm eingesetzten offiziellen Inhaber nicht einmal informiert. Toni fragt auch nicht nach. Sicher ist nur, dass im
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