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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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Unternehmen Garne und Bänder lagern, für die es keine Verkaufserlaubnis der Alliierten gibt. Sein Freund Hans habe ihm dann eines Tages gesagt, dass er ein bestimmtes Kontingent offiziell verkaufen könne. Er tut es und wird wegen Schwarzmarktgeschäften verhaftet. In dem Gespräch mit meinem Sohn Lukas bezeichnet Toni das als »blöden Zufall«.
    Mein Vater kommt umgehend nach Hamburg und besorgt ihm einen Anwalt, bittet ihn aber, seinen Namen in der Verhandlung nicht zu nennen, es hänge zu viel davon ab. Sein Freund hält sich daran. Bis zum Gerichtstermin vergehen zwei Jahre, in denen er gegen Kaution freigelassen wird. Ob diese von meinem Vater oder von Tonis zukünftigem Schwiegervater gestellt wird, geht aus dem Gespräch nicht hervor. In der Gerichtsverhandlung wird Dr. Lang als Zeuge geladen, und der von ihm bezahlte Anwalt macht, nach Aussage Tonis, seine Sache gut. Toni wird auf Bewährung freigelassen.
    Und wieder ist mein Vater zur Stelle und fragt seinen Freund, ob er nicht nach Frankfurt kommen möchte, um erneut mit ihm zusammenzuarbeiten. Hans kann ihm etwas bieten, was in der damaligen Zeit einem Wunder gleichkommt. Er besorgt Toni und seiner jungen und schönen Frau Inge eine Wohnung. Zwei Zimmer, unvorstellbar. Dr. Ott, der Leiter des Wohnungsbauamtes in Frankfurt, ist ein ehemaliger Bundesbruder meines Vaters.
    Ungeachtet der Tatsache, dass er seinen Freund, sicher unbeabsichtigt, aber in jedem Fall leichtsinnig ins Gefängnis gebracht hat, benutzt Hans ihn erneut. Diesmal bringt er eine Ladung Stoffballen in Tonis gerade glücklich bezogene Wohnung und bittet ihn, die Stoffe kurz für ihn aufzubewahren. Toni Rommel sagt wieder nicht nein. Er ist seinem Freund viel zu dankbar und glaubt an dessen Geschick und Glück. Die Stoffballen werden zu Matratzen umfunktioniert, damit sie bei einer Durchsuchung nicht gleich ins Auge fallen. Ohne dass sich ein Zwischenfall ereignet, holt mein Vater die Ware nach einiger Zeit wieder ab.
    »Ich weiß, mein Großvater war ein Schieber«, höre ich die ruhige Stimme meines Sohnes auf dem Tonband, ohne Vorwurf, ohne Empörung. Doch der loyale Freund, der Toni immer geblieben ist, reagiert sofort. Das möchte er auf Hans nicht sitzen lassen. Er entgegnet: »Wir waren alle gezwungen, uns durch kleine Machenschaften am Leben zu erhalten.« Und er fügt, wie zur Entlastung meines Vaters, hinzu: »Ich habe auch gehamstert.« Hans hat ihm dabei geholfen. Er schenkt Toni Kämme und Reißverschlüsse, die dieser auf dem Land in Lebensmittel umtauscht.
    Dass mein Vater seine Schwarzmarktgeschäfte in großem Stil betreiben kann, sei, davon ist Toni Rommel überzeugt, nur mit Billigung der Amerikaner möglich gewesen. »Dein Großvater«, erläutert er meinem Sohn, »hatte immer viele Verbündete.« Auf dessen Frage, warum sein Großvater während des Krieges vom Militär freigestellt worden sei, hat er ebenfalls eine einleuchtende Antwort. Er erklärt ihm, dass die Nazis, für die mein Vater bereits erfolgreich kriegswirtschaftlich wichtige Betriebe aufgebaut habe, in ihrer Freistellungsstrategie strategisch vorgegangen seien. Hans sei, so berichtet Toni nicht ohne Stolz auf seinen Freund, in einer Zeit, in der jeder nur ans Überleben gedacht hat, fest entschlossen gewesen, einen weltweiten Textilgroßhandel aufzubauen. Und es sei auch der politischen Führungsspitze der NSDAP nicht entgangen, dass Dr. Hans Lang über erstaunliche unternehmerische Fähigkeiten und Beziehungen verfügte, die ihr nützlicher sein konnten als sein Einsatz an der Front. Zudem waren sie daran interessiert, nach dem erwarteten glorreichen Endsieg umgehend mit dem Wiederaufbau beginnen zu können.
    Mein Vater habe, nach Kenntnis seines Freundes, neben zahlreichen Unternehmen, die er aus Sicherheitsgründen nicht auf seinen Namen eintragen ließ, offiziell die Textilunion in der Mainzer Landstraße, eine Großschneiderei, die klassizistische Villa am Schaumainkai in Frankfurt, in der sein Büro gewesen sei, und eine Werbeagentur besessen. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Josef Neckermann, der erst am 3. Mai 1948 entnazifiziert wird, noch im Gefängnis.
    Am Ende des Treffens, das beide bewegt hat, meinen jüngsten Sohn und den alten Freund seines Großvaters, sagt der hörbar erschöpfte Toni Rommel zu Lukas: »Oft habe ich deinen Großvater nicht gesehen, auch als ich für ihn gearbeitet habe. Er war immer unterwegs.« Und er fügt hinzu: »Als deine Mutter im Sommer 1942 geboren wird, ist

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