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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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erfüllen. Sichtlich erleichtert meint er: »Ich weiß nicht wie, aber wir haben es geschafft. Bis Herbst 1942 waren zweieinhalb Millionen Winteruniformen fertig.« Und er fügt hinzu: »Wir taten unser Bestes.« Das hat Necko sicher getan: das, was er am besten kann, Geschäfte machen, genial und ohne Bedenken. Und er bekennt rundheraus: »Ja, ich war in dieser Zeit glücklich«, wenn er auch abschwächend hinzufügt: »Gelegentlich hatte ich ungute Gefühle.« Es ist meinem Pflegevater tatsächlich gelungen, dieses Unbehagen so sporadisch wie möglich aufkommen zu lassen. Er möchte, wie er offen bekennt, »nicht in Schwierigkeiten kommen«, auch wenn er ahnt, »dass nicht alles mit rechten Dingen zuging«. Necko wird es sein Leben lang nicht wissen wollen.
    Doch zunächst ist mein Pflegevater, wie er schreibt, wieder einmal von Stolz erfüllt, dass er mit Nazi-Größen an einem Tisch sitzen darf, dass er mit Himmler ein Gespräch über Wirtschaftsfragen führen kann, dass Speer ihm Ratschläge gibt, wie er sich in diesen Kreisen zu bewegen habe. An Hitler, dem er bei einem Besuch im Führerhauptquartier die Eigenschaften der von ihm entwickelten Winteruniform erläutert, irritiert ihn nur die Schminke im Gesicht.
    Necko lernt auch Hitlers chirurgischen Begleitarzt Dr. Karl Brandt kennen, der im Rahmen der Nürnberger Prozesse wegen Menschenversuchen an KZ-Häftlingen und der Tötung von Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten zur Beschaffung von Bettenplätzen für Ausweichkrankenhäuser und Lazarette zum Tod durch den Strang verurteilt wird. Als Necko Dr. Brandt im Führerhauptquartier begegnet, findet er ihn »außerordentlich sympathisch«. Er macht auf meinen Pflegevater den »Eindruck eines kultivierten Mannes«, während er sich bei einem Besuch im Getto in Lodsch über die Schamlosigkeit des deutschen Gettoverwalters aufregt, der mit ihm den Kreißsaal des Lagers besichtigt. Die »verzweifelten Blicke der Frauen« bemerkt er, nicht aber die trost- und ausweglose Situation, in der Hunderte von Häftlingen für ihn arbeiten. Die Wahrnehmung meines Pflegevaters ist gespalten. Die Gebärenden, die ihn vielleicht an seine Frau Annemi und deren Geburten erinnern, berühren ihn persönlich, die ausgemergelten inhaftierten Frauen hinter seinen Nähmaschinen bleiben für ihn anonym. Sie haben als extrem kostengünstige Arbeitskräfte nur das vorgegebene Pensum zu erfüllen.
    Dass Necko auf wirtschaftlichem Gebiet im richtigen Moment am richtigen Ort die richtigen Ideen entwickelt und sie, die Zügel fest in Händen haltend, umsetzt, indem er strategisch geschickt jedes berufliche Hindernis beiseiteschiebt, sofern er es nicht im eleganten Galopp überspringen kann, ist seine herausragende Begabung. Sie erfordert Willenskraft, Risikobereitschaft, Durchsetzungs- und Durchhaltevermögen und basiert keineswegs nur auf seinem ungeheuerlichen Arbeitspensum, auch wenn mein Pflegevater selbst seinen Fleiß für die wichtigste Voraussetzung seines Erfolgs hält. »Ohne Fleiß kein Preis« ist eine Redewendung, die er gern benutzt, ebenso wie »Arbeiten, anpacken, aufbauen«.
    Wer wollte sich bei dieser Karriere und in dieser Zeit darüber wundern, dass Necko beim »Anpacken« nicht immer Samthandschuhe getragen hat? Ich kann es nicht. Auch seine Kumpanei mit dem Nationalsozialismus versuche ich aus den damaligen Umständen heraus zu verstehen, die Tatsache, dass er seine politischen Kontakte einfallsreich für seine beruflichen Interessen nutzt, ebenfalls. Was mich irritiert, ist nicht sein Opportunismus, es sind seine naiven Kommentare und Einschätzungen des Dritten Reiches. So jungenhaft unwissend, kann man das sein? Darf man das sein? Und vor allem: Darf man es bleiben, auch noch bis ins hohe Alter?
    Während ich mich intensiv mit meinen beiden Vätern auseinandersetze, lässt mich ein Satz aus Theodor W. Adornos Schrift Minima Moralia nicht mehr los: »Es gibt kein richtiges Leben im falschen.«
    Bemerkenswert ist, dass meine beiden Väter, die Konkurrenten, mehr Gemeinsamkeiten hatten, als sie es sich selber jemals eingestanden hätten. Im Gegenteil, sie hätten eine solche Sichtweise vermutlich weit von sich gewiesen. Diese Gemeinsamkeiten entspringen weniger individuellen Persönlichkeitsstrukturen als vielmehr der Tatsache, dass sie beide der Gattung »Erfolgstyp« angehörten.
    Schon als junge Männer fallen Necko und Hans durch ihr dandyhaftes Auftreten auf, ihren Willen zum Erfolg, ihren ausgeprägten

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