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Wie ein Haus aus Karten

Wie ein Haus aus Karten

Titel: Wie ein Haus aus Karten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Feireiss
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zusammenzieht.
    Es ist ein langer Prozess, bis ich lerne, mit der Unwiederbringlichkeit und der Sehnsucht umzugehen, bis ich die Sehnsucht in meinem eigenen Herzen verorten kann und nicht länger in anderen Menschen zu stillen hoffe. Es ist ein Prozess, in dem ich immer wieder verletze, mich selbst und andere.

Dazwischen 3
    »Ich hätte dich auf dem Faschingsfest nie angesprochen, wenn ich gewusst hätte, dass du zu dieser Wirtschaftswunder-Familie gehörst«, sagte der Mann, der später ihr dritter werden sollte. Aber da war es schon zu spät. Sie hatten sich ineinander verliebt. Aus seiner Bemerkung sprach nicht Respekt, sondern Skepsis. Der allseits bekannte Familien- und Firmenname war für ihn, und nicht nur für ihn, der Inbegriff des neureichen Aufsteigers mit allen dazugehörigen Merkmalen: Ehrgeiz, Machtstreben, Geltungsbedürfnis, Skrupellosigkeit. Dass ihr dritter Mann über viele Jahre der Einzige war, der von ihrer Herkunft wusste, lag zunächst nicht an ihrer Sorge vor einer ablehnenden Reaktion, sondern daran, dass sie es ohne den Namen Neckermann, der in Deutschland damals vielleicht nicht mehr alles, aber doch vieles möglich machte, schaffen wollte. Erst später wurde ihr bewusst, dass ihre Familienzugehörigkeit im damaligen, vom Nachhall der späten 60er Jahre geprägten Berlin Türen eher geschlossen als geöffnet hätte.
    Die junge Frau saß auf den Klippen vor Cervo und ließ die Beine baumeln. Sie hatte eine Redakteursstelle in der Abteilung »Kulturelles Wort« beim Rias Berlin angenommen, die sie nach dem Italienurlaub antreten würde. Sie war neugierig darauf, aber sie war auch voller Sorge. Nicht weil sie befürchtete, den Anforderungen nicht gewachsen zu sein, sondern weil sie nicht sicher war, ob ihr die neue Aufgabe auch Spaß machen würde.
    Ihr dritter Mann, mit dem sie den ersten gemeinsamen Italienurlaub verbrachte, sah aufs Mittelmeer hinaus, das wie Silberpapier in der Sonne glänzte, kniff die Augen zusammen, zündete sich seine Pfeife an und schüttelte missbilligend den Kopf. »Spaß?«, wiederholte er fragend, »was ist das für eine unreife Motivation? Du bist immer noch die verwöhnte höhere Tochter.« Und er fügte hinzu: »Es geht im Berufsleben nicht um Spaß, es geht um Pflicht und Disziplin.« Seine preußische Erziehung hatte ihn so geprägt, und so erfüllte er auch seinen Beruf als Arzt. Er konnte nicht wissen, dass sie die von ihm gepriesenen Werte, die auch ihre Erziehung bestimmt hatten und noch immer wie Teer an ihr klebten, mit aller Kraft abzuschütteln versuchte.
    An diesem Nachmittag auf den Klippen vor Cervo, der so entspannt begonnen hatte, fühlte sie sich durch seine Bemerkungen verunsichert. Vielleicht, dachte sie, hätte sie das Thema gar nicht anschneiden sollen. Vielleicht war es tatsächlich unreif, sich Spaß, Lust, Freude oder wie man es auch nennen mochte, als Motivation der eigenen Arbeit anzusehen. Sie saßen auf den Felsen, jeder in seine Gedanken versunken, und schwiegen. Je mehr sie aber darüber nachdachte, desto weniger konnte sie ihm zustimmen. Die Begeisterung für die gestellte Aufgabe, die Lust an der Kreativität würden immer Bestandteil dessen sein, was sie tat, würden sie antreiben, weitertreiben. Es war das erste Mal, dass sie nicht einer Meinung waren.
    Als sie ihrem dritten Mann von der Idee erzählte, zusammen mit einer Freundin und Kollegin, die ebenso wenig von Architektur verstand wie sie, unter dem Namen »Aedes« eine Architekturgalerie aufzumachen, warnte er sie mit dem ihm eigenen Zweckpessimismus, dennoch half er ihr. Abends, wenn er von der Praxis nach Hause kam, redigierte er mit ihr Texte für ihre Ausstellungskataloge und stellte Kostenpläne auf. Vielleicht war er sogar stolz auf sie, auf ihre Beharrlichkeit, ihre alles Unangenehme über Bord werfende Unbekümmertheit, auf die Art, mit der sie sich in die Dinge stürzte und sie durchzog. Er nannte es erst liebevoll, später skeptisch ihre »Kamikaze-Mentalität«.
    Sie fühlte sich bei ihrem dritten Mann geborgen wie nie zuvor in ihrem Leben. Er war elf Jahre älter als sie und im selben Jahr geboren wie ihr verstorbener Bruder Mockel. Sie glaubte, endlich zu Hause angekommen zu sein. Ihr Vertrauen zu ihm war so tief, dass ihre unbewusst aufgebaute physische Barriere brach. Nach vier Jahren der Unfruchtbarkeit reagierte ihr Körper wieder wie der einer gesunden jungen Frau. Ihr Mann, dem sein Sohn, den sie später wie ihren eigenen Sohn liebte, nach der

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