Wie ein Haus aus Karten
kann, bei der Absolution nicht unfreundlich klingt.
Die erste heilige Kommunion genieße ich noch ungetrübt. Das weiße Rüschenkleid, das meine Großmutter für mich anfertigen lässt, der Kranz aus weißen Organzarosen im dauergewellten Haar, das Dröhnen der Orgel in der Hofkirche zu Würzburg, die synchron zu meiner in solch erhabenen Momenten auftretenden Gänsehaut erschallt, und das Fest im »Russischen Hof«, zu dem auch die Neckermann-Familie aus Frankfurt angereist ist, trösten mich darüber hinweg, dass ich mit der Hostie gerade erst den Leib Christi zu mir genommen habe. Meine Kommunion ist der Höhepunkt meiner Karriere als Katholikin. Exkommuniziert werde ich zwar bereits, als ich das zweite Mal heirate, amtlich trete ich aber erst in den siebziger Jahren aus der Kirche aus, ein Schritt, der mir eingedenk des letzten Willens meiner Eltern und meiner Großmutter schwergefallen ist. Zu vermeiden ist er nicht.
Meine Großmutter und ich teilen in den Würzburger Jahren nicht nur das Wohn- und das Schlafzimmer, sondern auch die ganze Welt, die sich für uns in dem Moment wesentlich erweitert, als Josef seiner Mutsch 1954 den ersten Schwarzweißfernseher schenkt. Der Fernsehapparat, ein Produkt der Firma Neckermann mit dem Namen »Weltblick«, der, wie Necko stolz bemerkt, mit seinen knapp 650 Mark »das billigste aller vergleichbaren Geräte auf dem Markt ist«, verändert unser Leben von einem Tag auf den anderen. Es ist nicht etwa so, dass ich es bin, die fernsehsüchtig geworden wäre, es ist meine Großmutter, die dieser Krankheit unheilbar erliegt.
Necko hat den Nagel auf den Kopf getroffen, als er in einem Gespräch mit dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer, der die Ansicht vertritt, Fernsehen sei nur etwas für die berufstätige Oberschicht, vehement widerspricht und behauptet, dass diese neue Errungenschaft der Technik gerade den Bedürfnissen alter Menschen entgegenkomme. Als Beispiel dafür nennt er seine eigene Mutter.
Anstelle der abendlichen Schallplattenstunden, bei denen ich neben dem Plattenspieler sitze, um rechtzeitig die Schellackplatten zu wechseln, die, da sie nur wenige Minuten Spieldauer haben, jedes Musikstück bis zur Unkenntlichkeit zerstückeln, rückt das zunächst noch heftig flimmernde Schwarzweißbild in den Mittelpunkt unseres Lebens. Meine Großmutter freut sich wie ein Kind auf und über alles, was es auf dem Bildschirm zu sehen gibt. Sie ist voller Neugier. Da sie mir nie etwas ausgeredet hat, kann ich es nun umgekehrt ebenso wenig tun, obwohl ich den sich oft über Stunden hinziehenden Übertragungen von Boxkämpfen, die auf meine Großmutter eine besondere Faszination ausüben, vor allem wenn Muhammad Ali, damals noch Cassius Clay, in den Ring steigt, nichts abgewinnen kann. Aber besser, in der Sofaecke neben ihr einzuschlafen, bis das Programm zu Ende ist, als allein ins Bett zu gehen. Alles in allem verdanke ich dem Einzug des Fernsehers in unseren Haushalt jedoch unterhaltsame und abwechslungsreiche Stunden, da meine Großmutter unser gemeinsames Fernsehvergnügen nie unter pädagogischen Gesichtspunkten betrachtet.
An einem dieser Fernsehabende sehen wir zusammen einen Film mit dem Titel »Tabu«. Jahrzehnte später stelle ich fest, dass es sich dabei um einen Streifen von Fritz Murnau handelt, mit dem dieser Filmgeschichte geschrieben hat. Die Handlung spielt auf einer Südsee-Insel. Ein Perlentaucher liebt die Tochter des Häuptlings, die bereits dem Häuptling der Nachbarinsel versprochen ist. Der Vater des Mädchens entdeckt die unglücklich Liebenden und schleppt das sich verzweifelt wehrende Mädchen nachts in ein Boot, das es zu seinem künftigen Ehemann bringen soll. Der liebestrunkene Perlenfischer schwimmt hinter dem Boot her ins offene Meer hinaus, bis das Boot in der Ferne verschwindet und er kraftlos in den Wellen versinkt. Meine Großmutter und ich liegen uns in den Armen wie Schulmädchen und weinen, erst über die unglücklich Liebenden und dann darüber, dass auch uns das Schicksal einmal trennen könnte.
Wie sich eine Trennung von meiner Großmutter anfühlt, habe ich bereits erfahren, obwohl das Schicksal nichts damit zu tun hat. In dem Wunsch, das Beste für mich zu tun, hat Großmutter Neckermann schweren Herzens dem Drängen des Hausarztes nachgegeben und mich wegen einer chronischen Bronchitis zu einem Kuraufenthalt nach Bayerisch Gmain in der Nähe von Bad Reichenhall geschickt, wo Großvater Brückner mit seiner Frau Agnes eine
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