Wie ein Licht in der Nacht - Sparks, N: Wie ein Licht in der Nacht
Sie den Laden am Memorial Day geöffnet?«
»Ja, natürlich. Gerade an solchen Tagen ist immer unglaublich viel los, weil alle den freien Tag am Strand verbringen wollen und noch irgendetwas brauchen. Ich arbeite voraussichtlich bis mittags um eins oder so.«
»Ich würde Sie ja bemitleiden – aber ich muss auch arbeiten.«
»Vielleicht kommen wir ins Restaurant und nerven Sie wieder.«
»Sie haben mich überhaupt nicht genervt.« Katie musterte Alex über den Rand ihres Weinglases hinweg. »Oder genauer gesagt: Die Kinder haben mich nicht genervt. Wenn ich mich richtig erinnere, hatten Sie etwas am Service auszusetzen, und das nervt mich immer.«
»Alte Männer wie ich machen so was gern«, entgegnete er grinsend.
Lachend schaukelte Katie vor und zurück. »Wenn ich nicht arbeite, sitze ich sehr gern hier draußen und lese. Es ist so ruhig. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich weit und breit der einzige Mensch bin.«
»Sie sind ja auch der einzige Mensch weit und breit. Hier wohnt man wie hinter dem Mond.«
Spielerisch boxte sie ihn gegen die Schulter. »Vorsicht! Zufällig mag ich mein kleines Häuschen.«
»Dazu haben Sie auch allen Grund. Es ist besser in Schuss, als ich erwartet hatte. Echt gemütlich.«
»Ganz allmählich wird’s was«, sagte sie. »Das Projekt ist ständig in Arbeit. Aber das Beste ist: Ich zahle die Miete, und niemand kann es mir wegnehmen.«
Alex schaute sie an. Katie blickte über die Schotterstraße hinweg zu der großen Wiese auf der anderen Seite.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
Sie überlegte einen Moment, bevor sie antwortete: »Ich habe gerade gedacht, wie froh ich bin, dass Sie hier sind. Sie kennen mich doch gar nicht.«
»Ich denke, ich kenne Sie gut genug.«
Schweigend senkte Katie den Blick. Nach einer Weile flüsterte sie: »Sie denken , dass Sie mich kennen. Aber Sie kennen mich nicht.«
Alex spürte, dass sie Angst hatte, mehr zu sagen. In der Stille hörte man die Verandadielen knarren, wäh rend Katie vor- und zurückschaukelte. »Wie wär’s, wenn ich Ihnen erzähle, was ich denke, und Sie sagen mir, ob ich Recht habe oder nicht? Wären Sie damit einverstanden?«
Sie nickte, die Lippen fest aufeinandergepresst.
Mit gedämpfter Stimme fuhr Alex fort: »Ich denke, Sie sind klug und charmant, und Sie haben ein großes Herz. Wenn Sie wollen, können Sie schöner aussehen als alle Leute, die ich kenne. Sie sind sehr selbstständig, Sie haben Humor, und im Umgang mit Kindern legen Sie verblüffend viel Geduld an den Tag. Klar, ich habe keine Ahnung von den Einzelheiten in Ihrer Vergangenheit. Aber ich weiß nicht, ob die so wichtig sind. Es sei denn, Sie wollen mir davon erzählen. Jeder Mensch hat eine Vergangenheit, aber die ist – na ja, vergangen. Man kann daraus etwas lernen, aber ändern kann man sie nicht mehr. Außerdem kenne ich die Person von früher ja gar nicht. Die Frau, mit der ich hier sitze, ist auch die Frau, die ich noch näher kennenlernen möchte.«
Ein Lächeln huschte über Katies Gesicht. »Bei Ihnen klingt das alles ganz einfach.«
»Es kann ja auch ganz einfach sein.«
Nachdenklich drehte sie ihr Weinglas hin und her. »Aber was ist, wenn die Vergangenheit nicht vollständig vergangen ist? Wenn sie immer noch Einfluss hat?«
Ihre Blicke begegneten sich, als er sagte: »Sie wollen sagen … was ist, wenn er Sie findet?«
Katie zuckte zusammen. »Was haben Sie gerade gesagt?«
»Sie haben mich genau verstanden.« Alex sprach sehr ruhig, als wäre es normaler Smalltalk. Diese Technik hatte er als Ermittler gelernt. »Ich vermute, dass Sie verheiratet waren … und dass Ihr Mann möglicherweise versucht, Sie zu finden.«
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Katie ihn an. Plötzlich bekam sie kaum Luft und sprang von ihrem Schaukelstuhl auf. Dabei verschüttete sie den Rest ihres Weins. Alles Blut war ihr aus dem Gesicht gewichen.
»Woher wissen Sie so viel über mich? Wer hat Ihnen das erzählt?«, rief sie. In ihrem Kopf rasten die Gedanken, weil sie versuchte, irgendwie eine Erklärung zu finden. Er konnte das doch unmöglich irgendwo gehört haben! Sie hatte keiner Menschenseele davon erzählt.
Außer Jo.
Erschrocken schaute sie hinüber zu dem anderen Häuschen. Ihre Nachbarin hatte sie verraten. Ihre Freundin hatte sie verraten.
Alex überlegte krampfhaft, was er sagen sollte, um ihr zu helfen. Er sah die Angst in ihren Augen, aber diese Angst war ihm nicht neu. Schon viel zu oft hatte er sie bei Katie gesehen.
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