Wie ein stummer Schrei
wollte ihr nicht einfallen. Während sie sich zu konzentrieren versuchte, spürte sie, dass ihr eine Decke übergelegt wurde. Sie nahm das Gewicht wahr, dann die angenehme Wärme, bis sie in eine beruhigende Bewusstlosigkeit fiel.
“Ist sie wach? Ich muss mit meinem Baby reden.”
Olivia nahm die Stimme wahr.
Nanna? Das klang nach Nanna.
“Olivia, Darling. Ich bin es, Grampy. Wir sind für dich da, Darling, mach dir keine Sorgen. Alles wird wieder gut.”
Grampy! Das war Grampy. Aber wieso sind Nanna und Grampy bei mir im Schlafzimmer?
Sie wollte etwas erwidern, doch ihr Mund war so schrecklich trocken. Mit der Zunge strich sie über ihre Lippen und stöhnte wieder leise.
“Schmerzen …”
Jemand berührte ihre Hand, ihre Stirn. Sie spürte warmen Atem, der über ihre Wange strich.
“Ich weiß, Livvie. Es tut mir so Leid.”
Trey … bist du das?
Als hätte er ihre Gedanken lesen können, antwortete er: “Ich bin’s, Trey.”
Das Bild eines Mannes, der eine Waffe auf ihr Gesicht gerichtet hielt, tauchte vor Olivias geistigem Auge so plötzlich auf, dass sie zusammenzuckte. Die Bewegung löste einen stechenden Schmerz aus, durch den ihr Tränen kamen.
“Trey … Schmerzen”, flüsterte sie.
Er war sich noch nie so hilflos vorgekommen wie in diesem Moment. Am liebsten hätte er sie festgehalten, sie beschützt und ihr den Schmerz genommen, doch er konnte nichts anderes machen, als banale Sätze zu sprechen, die nichts bewirkten.
“Ich weiß, Honey. Es tut mir Leid, aber der Doktor sagt, dass du wieder ganz gesund werden wirst.”
Es tat ihr gut, das von Trey zu hören. Er würde sie nicht belügen. Trey war ein Cop, erinnerte sie sich. Sie musste ihm sagen, dass man auf sie geschossen hatte.
“Schuss.”
Trey verzog den Mund. “Ich weiß. Die Polizei sucht bereits nach dem Täter.”
Ihm hatte sie immer vertrauen können. Sie hätte wissen sollen, dass er die Sache in die Hand nehmen würde.
“Schlafen …”, sagte sie mit einem Seufzer.
Marcus kam ans Krankenbett und gab ihr einen Kuss auf die Wange. “Ja, Darling, schlaf ruhig. Wir werden hier auf dich warten.”
Anna verabschiedete sich von ihr mit einer sanften Berührung auf der Stirn. “Darling, ich bin es, deine Nanna. Mach dir keine Sorgen. Wenn du nach Hause kommst, werde ich mich wieder um dich kümmern. So wie damals, als du noch klein warst.”
Nanna? Nanna! Wieder zuckte Olivia zusammen. Daran hatte sie sich erinnern wollen.
“Grampy?
Grampy!”
“Ich bin hier, mein Liebling.”
Abermals fuhr sie sich über die Lippen und bemühte sich, ihre Gedanken in Worte umzuformen. “Pass auf … Nanna … nicht ganz da …”
Sie wollte noch mehr sagen, doch das Schmerzmittel zeigte Wirkung und ließ ihre Gedanken so bleischwer werden wie ihre Arme und Beine. Langsam entglitt ihr die Realität, und sie versank in einem tiefen, schwarzen Loch.
Olivias Worte ließen Anna nervös werden. Sie zog sich vom Krankenbett zurück, ohne die beiden Männer anzusehen, dann strich sie sich die Haare aus dem Gesicht. Warum Olivia das gesagt hatte, war ihr nicht klar. Sie wusste nur, dass es ihr nicht gefiel. Die anderen sahen sie an, doch genau das behagte ihr nicht. Dass sie nicht mehr hübsch war, das war ihr sehr wohl bewusst. Was die anderen nicht wussten, war die Tatsache, dass es ihr egal war. Sie hatte den wertvollsten Teil ihres Lebens bereits hinter sich, von nun an ging es nur noch darum, die restliche Zeit totzuschlagen.
“Ich bin ganz da”, murmelte sie. “Ich bin ganz da.”
Marcus war aufgefallen, in welcher Verfassung Anna im Krankenhaus angekommen war, doch er hatte sich nichts dabei gedacht. Die Sorge um Olivia war größer gewesen, als sich damit zu befassen, welchen Eindruck Anna auf ihn machte. Doch jetzt betrachtete er sie mit anderen Augen und begann sich zu fragen, ob ihr leerer Blick tatsächlich nur Angst um Olivia widerspiegelte oder ob sie vielleicht auch Angst um sich selbst hatte.
“Anna”, sagte er und nahm sie am Ellbogen. “Warum gehen Sie ni…”
“Ich bin doch ganz da, oder? Sie sehen mich doch … oder nicht?” fragte sie.
Trey sah zu Marcus, dann wandte er den Blick ab, als sei er Zeuge von etwas geworden, das ihn eigentlich nichts anging.
Für Marcus war bei diesen Worten klar, dass wirklich irgendetwas nicht stimmte. Olivia musste es als Erste bemerkt haben, und es machte ihr so sehr zu schaffen, dass sie darüber ihre Schmerzen zu vergessen schien.
“Ja, meine Liebe, wir alle
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