Wie einst in jenem Sommer
flatterte. Andreas hatte einen Körper zum Träumen. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass der Mann inzwischen sechsunddreißig Jahre alt war.
Entschlossen wandte sie sich ab und atmete tief durch. Sie musste sich auf den Grund ihrer Reise nach Griechenland konzentrieren.
„Wie geht es Lilly?“, fragte sie daher.
„Wie ich bereits am Telefon gesagt habe, geht es ihr ganz gut.“ Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft klang Andreas nicht verbittert. „In der vergangenen Woche war das noch ganz anders. Sie war sehr unruhig, wollte nichts zu sich nehmen und hat kaum geschlafen.“
Carrie empfand sofort tiefes Mitgefühl mit dem armen, schutzlosen Wesen. „Sie vermisst ihre Mum.“
Andreas warf ihr einen schnellen Seitenblick zu, als er ihre bebende Stimme bemerkte. Carrie wandte sich rasch ab. Sie wollte jetzt nicht in Tränen ausbrechen. Eigentlich hatte sie gedacht, sie wäre über die schlimmste Trauer hinweg, aber manchmal kamen ihr von einer Sekunde zur nächsten die Tränen. „Ich kann das alles noch gar nicht begreifen“, erklärte sie mit versagender Stimme. „Als es passierte, war ich gerade auf Geschäftsreise. Bei meiner Rückkehr vor zwei Tagen fand ich dann den Brief des Anwalts vor.“
Deshalb ist sie also nicht zur Beerdigung gekommen, dachte Andreas. Bisher war es unbegreiflich für ihn gewesen, dass sie bei der Trauerfeier gefehlt hatte.
„Es ist sehr schwer, mit der Situation klarzukommen“, sagte er ruhig. „Theo und Jo waren noch so jung. Sie hatten das ganze Leben doch noch vor sich.“
„Und Lilly war ihr ein und alles.“
„Ja.“ Andreas sah das kleine Mädchen vor sich, das sich nun in seiner Obhut befand.
Das Leben war wirklich merkwürdig. Bis vor Kurzem hätte er sich niemals vorstellen können, sich allein rund um die Uhr um ein Baby zu kümmern. Sein Leben drehte sich nur um seinen Beruf. Für eine Familie war darin kein Platz. Er war eben einfach nicht geschaffen für Ehe und Familienleben. Eine gescheiterte Beziehung reichte ihm völlig.
Obwohl er Lillys Onkel und Pate war, hatte er sie erst bei der Taufe zum ersten Mal auf dem Arm gehabt. Natürlich hatte er sie lieb und fand sie bezaubernd, war jedoch froh gewesen, sie wieder ihren Eltern übergeben zu können. Daher hatte es ihn auch regelrecht schockiert, dass er plötzlich Beschützerinstinkte empfand, als eine Kinderschwester ihm nach dem Unfall das Baby in die Arme legte. Lilly hatte ihn mit ihren großen Augen so vertrauensvoll angeschaut, dass es ihn fast zu Tränen gerührt hatte. Sie sollte es gut bei ihm haben, er wollte dafür sorgen, dass es ihr an nichts fehlte. Das Gefühl, sie beschützen zu müssen, war überwältigend.
„Ich bin nur froh, dass sie nicht im Auto war, als der Unfall passierte“, sagte Carrie.
„Sie war im Auto – auf dem Rücksitz in ihrer Babyschale.“
Carrie sah entsetzt auf. „Oh nein! Ist ihr etwas passiert?“
„Nein. Sie hat nicht einen Kratzer abbekommen. Natürlich ist sie zu jung, um zu begreifen, was passiert ist, aber du hast wahrscheinlich recht: Sie vermisst ihre Mutter. Jo war ja Tag und Nacht bei ihr.“
„Wer kümmert sich denn jetzt um Lilly?“
„Meine Haushälterin.“ Andreas schaute auf die Uhr im Armaturenbrett. „Marcia ist eine Perle, aber sie arbeitet nur halbtags, weil sie sich auch noch um ihre gebrechliche Mutter kümmern muss. Großzügigerweise bleibt sie heute länger.“
Das klang, als wäre Andreas mit der Situation überfordert.
„Jetzt bin ich ja da und kann helfen.“
„Bist du sicher, dass du das willst?“ Er zog eine Augenbraue hoch und hielt Carries Blick kurz fest.
Ihr wurde heiß.
„Ja, natürlich. Ich will nur das Beste für Lilly.“
Er lächelte. „Das ist sehr gut zu wissen.“
Etwas leicht Beunruhigendes schwang in seinem Tonfall mit.
Andreas richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße.
Er wusste, dass sie es ernst meinte. Theo hatte ihm erzählt, wie sehr Carrie an dem Baby hing. Das sei bei ihren Besuchen nicht zu übersehen gewesen. Nach dem Telefongespräch mit Carrie waren ihm Theos Worte wieder eingefallen. Deshalb hatte er beschlossen, seine eigenen Gefühle zurückzustellen und Carrie Gelegenheit zu geben, sich um die Kleine zu kümmern.
Schließlich benötigte er sowieso Hilfe, bis er ein geeignetes Kindermädchen für Lilly gefunden hatte, das auf sie aufpasste, wenn er im Büro zu tun hatte. Carrie war die perfekte Zwischenlösung. Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. In jeder
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