Wie es Euch gefaellt, Mylady
frühere Treulosigkeit bis heute nicht verziehen hatte. Julia verurteilte sie deshalb nicht, vermutlich hätte sie sich ebenso verhalten.
„Weißt du eigentlich“, tuschelte Hermia hinter ihrem vorgehaltenen Fächer, „dass die stadtbekannte Kurtisane Audrey Watson heute Abend anwesend ist?“
„Ja.“ Julia hielt den Blick auf die Tanzfläche gerichtet, um ihre Tante nicht ansehen zu müssen. „Ich habe mich vorhin mit ihr unterhalten.“
Hermia ließ den Fächer entgeistert sinken. „Du hast mit ihr gesprochen?“
„Ja. Sie ist eine reizende Person.“
„Worüber habt ihr denn gesprochen?“, fragte Hermia begierig.
„Über dies und jenes“, antwortete Julia ausweichend. Sie war zerstreut, da Heath sie die ganze Zeit aus der Ferne beobachtete, ohne auch nur den Versuch zu machen, dies heimlich zu tun. Beim Verlassen des Erfrischungsraums hatte er in einigem Abstand geduldig auf sie gewartet und damit natürlich Audreys Verdacht, zwischen ihnen könne etwas sein, Nahrung gegeben. Er hatte darauf bestanden, sie in den Ballsaal zu begleiten, und sie nicht mehr aus den Augen gelassen. Als sie vor einer Weile versucht hatte, heimlich in den Garten zu huschen, um der stickigen, parfumgeschwängerten Luft zu entrinnen, hatte er sie bereits auf der Terrasse erwartet und in aller Ruhe eine Zigarre geraucht.
„Nanu, welch ein Zufall, dich hier zu treffen“, sagte sie, und das Herz klopfte ihr bis zum Hals. „Schon wieder.“
„Hast du Lust auf einen Spaziergang?“, fragte er und bot ihr höflich den Arm.
Julia ignorierte geflissentlich die verlockende Geste, musste sich aber insgeheim gestehen, dass er ein ausgesprochen galanter Leibwächter war.
„Ja, gern. Aber alleine, wenn es dir nichts ausmacht. In Indien habe ich oft weite Spaziergänge unternommen.“
Er spähte den verschatteten Gartenweg entlang, der sich im Dunkel der Sträucher verlor. „Das kann ich nicht zulassen“, lehnte er kopfschüttelnd ab.
„Nicht zulassen …“
„Ich halte mich nur an meine Anweisungen.“ Er näherte sich ihr und legte die Zigarre ins Erdreich einer Topfpflanze. „Eine militärische Disziplin.“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust, fühlte sich ein wenig atemlos und unsicher. Er ging entschieden zu weit in seiner Pflichtauffassung. „Das kann nicht gut gehen.“
„Das fürchte ich auch“, entgegnete er mit einem dünnen Lächeln.
„Tatsächlich?“
Er stand im Lichtschein eines der hohen Fenster. Silbrige Schatten vertieften die Konturen seines schönen Gesichts. „Wann starb dein Ehemann?“, fragte er unvermittelt.
„Vor vierzehn Monaten.“
Er schwieg. Sie konnte direkt sehen, wie er nachrechnete. Vier Monate dauerte die Schiffspassage von Indien nach England. Etwa einen Monat hatte sie mit Besuchen bei Verwandten verbracht. Russells Beistand war ihr in dieser schweren Zeit eine große Hilfe gewesen. Er hatte Julia in Dover erwartet, in einem Hotel untergebracht und später ans Krankenbett ihres Vaters begleitet. Er war sehr fürsorglich gewesen und hatte sie mit Aufmerksamkeiten förmlich überschüttet. Mittlerweile hatte sie ihre Fassung wiedergefunden, konnte wieder klar denken. Manchmal bedauerte sie, Russells Antrag angenommen zu haben, ohne sich Bedenkzeit zu erbitten. Aber sie wollte nicht allein bleiben, und er hatte sich als treuer, verlässlicher Freund erwiesen, der gewiss auch ein guter Vater sein würde. Beide wünschten sich Kinder. Julias einzige Besorgnis bestand darin, dass sie einander vielleicht nicht gut genug kannten.
„Hast du denn Lust auf einen Spaziergang?“, fragte sie plötzlich, ein wenig befangen von Heaths langem Schweigen. Andererseits handelte er ja nur in ihrem Interesse. Und er konnte nichts dafür, wenn ihr Herz in seiner Nähe so wild pochte.
Er spähte wieder in den dunklen Garten. „Eigentlich nicht. Im Haus sind wir sicherer.“
Sicherer? Wovor? Sie ging neben ihm auf das hell erleuchtete Haus zu, die unausgesprochene Frage hing zwischen ihnen. Wollte er damit zum Ausdruck bringen, dass er sich in ihrer Nähe nicht sicher fühlte? Falls er überhaupt etwas für sie empfand, verbarg er es ausgezeichnet. Dafür sollte sie ihm dankbar sein. „Was glaubst du, ist Russell wirklich in Gefahr?“, fragte sie.
„Russell ist davon überzeugt.“ Sein Blick drang ihr bis ins Herz, als er sich ihr zuwandte. „Auclair ist zu allem fähig. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Aber ich wusste nicht, dass er noch immer sein Unwesen treibt. Ich
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