Wie es Euch gefaellt, Mylady
wirklich zivilisiert gewesen, schon in ihrer Jugend in England nicht. Ihre Mutter war gestorben, als Julia drei gewesen war. Ihr Vater hatte sie mit zur Jagd genommen, kaum dass sie laufen gelernt hatte. Und sie hatte fast ihre ganze Jugend an seiner Seite verbracht, in Gesellschaft von Jagdaufsehern und Wildhütern.
Russell schien sie zu lieben. Manchmal zweifelte sie daran, ob sie wirklich in das Gesellschaftsleben passte, das ihm so sehr am Herzen lag. In seinen Briefen hatte er manchmal erwähnt, wie sehr er sie vermisste und sich wünschte, sie würde wieder nach England zurückkehren. Hin und wieder fragte sie sich, ob er sich zu ihr hingezogen gefühlt hatte, weil sie unerreichbar für ihn gewesen war, auch wenn ihm dies nicht bewusst gewesen sein mochte. Würde sein Interesse an ihr schwinden, sobald sie seine Ehefrau war? Es gab Männer, denen die Jagd mehr Vergnügen bereitete als die Beute.
„Hat Russell von sich hören lassen?“, fragte sie.
Heath legte die Zeitung beiseite. „Er ist abgereist. Er ließ mich wissen, dass ein Informant den Einbrecher in einem Pub in St. Giles aufspüren konnte. Ein Trunkenbold aus dem Hafenviertel, der offen damit prahlte, in Russells Haus eingebrochen zu sein. Er behauptete, ein Ausländer habe ihm den Auftrag dazu gegeben und ihn großzügig dafür bezahlt.“
„Ein Ausländer.“ Julia furchte nun die Stirn. „Aber Russell glaubt immer noch, dass Auclair sich in Frankreich aufhält?“
„Er ist mehr denn je davon überzeugt. Er hat den Verdacht, der Einbruch sei eine List gewesen, um ihn von Auclairs Spur abzulenken. Jedenfalls ist Russell abgereist.“
Sie griff nach der silbernen Teekanne, um Heaths Blick auszuweichen. „Was ist mit dem Mann in der Kutsche von letzter Nacht?“
„Wer immer er war, er tauchte nicht wieder auf.“
„Vielleicht nur ein Zufall“, murmelte sie mit gesenktem Blick. Sie konnte sich nicht konzentrieren, wenn er sie so fixierte.
Heath stand auf, trat hinter ihren Stuhl und beugte sich über sie. „Vielleicht auch nicht“, sagte er mit beunruhigend dunkler Stimme. „Oder du hast wirklich einen heimlichen Verehrer.“
Sie hob den Kopf. Sein warmer Atem an ihrer Wange verschlug ihr momentan die Sprache. Sie hatte in sechs Jahren gelernt, Zurückhaltung zu üben und ihre Gefühle zu verbergen. Aber wieso klopfte ihr Herz so schnell? Wodurch vermittelte er ihr den Eindruck, er beherrsche die Situation? Warum fühlte sie sich ihm unterlegen?
„Ein heimlicher Verehrer?“, entgegnete sie schließlich und bemühte sich, einen belustigten Ton anzuschlagen. „Eine Witwe, die einen Mann in den Allerwertesten geschossen hat, weil er ihre Zofe belästigte? Seit wann bringt die Gesellschaft wehrhaften Frauen Sympathien entgegen?“
„Du bist nicht nur schön und geistreich, Julia, du besitzt auch ein beträchtliches Vermögen“, antwortete er gelassen. „Ein heimlicher Verehrer wäre sehr wohl in Betracht zu ziehen, finde ich.“
Sie fühlte sich unwillkürlich geschmeichelt, goss eine Tasse Tee ein und wunderte sich, dass ihre Hand nicht zitterte. „Ich ziehe Verehrer vor, die an meine Tür klopfen und nicht nachts in Kutschen vor dem Haus herumlungern.“
„Dein Verlobter könnte etwas dagegen haben, wenn fremde Männer an deine Tür klopfen“, wandte er ein. „Ist dir beim Ball ein Mann aufgefallen, der dich anstarrte?“
„Ja, du“, antwortete sie stirnrunzelnd. „Jedes Mal, wenn ich mich umdrehte.“
„Das zählt nicht“, entgegnete er trocken.
Sein Kinn streifte ihre Wange, und Julia fürchtete, ihren Tee zu verschütten.
„Dich starren die Leute jedenfalls alle an“, murmelte sie.
Aufgeregtes Hundegebell im Flur unterbrach das Gespräch. Heath richtete sich auf, und Julia konnte wieder befreit atmen. „Aha“, sagte er. „Deine Tante mit ihrer Meute wilder Möpse.“
„Die mich beschützen werden.“ Sie trank einen Schluck.
„Du kannst jetzt gehen, Heath. Ich will nicht undankbar sein, aber Hermia und ich haben Pläne für heute. Bitte ruhe dich aus.“
Er verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte. „Was unternehmen wir?“
„Was soll das heißen?“, fragte sie gedehnt. „Odham begleitet uns zu einem Gartenfest.“
Heath entfernte sich einen Schritt, als Hermia in einem pfauenblauen Seidenkleid und federgeschmücktem Turban ins Zimmer rauschte, umringt von ihren vier hechelnden Möpsen. „Der Earl begleitet deine Tante, und ich werde dich begleiten, Julia, es sei denn, meine
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