Wie es Euch gefaellt, Mylady
Schlafzimmer. Ihre goldfarbene Abendrobe schimmerte im sanften Kerzenlicht. „Du meine Güte, Julia, leg endlich diesen Zeichenblock weg. Du bist noch nicht fertig angezogen, und in ein paar Minuten werden wir abgeholt.“
„Hmmm?“ Julia hob nicht einmal den Kopf und betrachtete stirnrunzelnd die Zeichnung auf ihren Knien.
„Es ist empörend“, schnaubte Hermia und ließ ihr ausladendes Hinterteil neben Julia aufs Bett plumpsen.
Julia seufzte. „Dass ich noch nicht fertig bin oder dass du ohne anzuklopfen in mein Zimmer stürmst?“
Hermia reckte den Hals, um über Julias angezogenen Knien einen Blick auf die Zeichnung zu erhaschen. „Weder noch. Ich spreche von Odhams schamlosen Nachstellungen. Eine Frau in meinem Alter.“
Julia versteckte die Zeichnung unter den Händen. „Ich finde ihn irgendwie rührend.“
„Rührend? Der alte Schuft. Was zeichnest du da in aller Heimlichkeit? Zeig es mir. Einen nackten Mann?“
„Einen nackten Mann? Also, wirklich.“
„Einen nackten Heath Boscastle?“
„Ehrlich, Hermia. Ich bin heilfroh, dass er mal eine Stunde nicht im Haus ist. Endlich kann ich Atem holen.“
Hermia schürzte die Lippen, während Julia den Zeichenblock in der messingbeschlagenen Truhe am Fußende des Bettes verstaute. „Aus dieser Bemerkung könnte ich einige Schlüsse ziehen.“
Julia nahm sich vor, später ein neues Versteck zu finden, da ihr Hermias Neigung, in anderer Leute Sachen zu schnüffeln, nicht geheuer war.
Sie glitt vom Bett und glättete die Falten ihres cremefarbenen Abendkleides. „Hast du mein Saphirarmband gesehen?“
„Versuch nicht, vom Thema abzulenken, meine Liebe. Ich fühle mich mit Heath im Haus wohler, Julia. Sicher und beschützt.“
„Ich aber nicht.“ Sie zog einen Paisleyschal mit langen Fransen unter Hermias Hinterteil hervor. „Ich fühle mich in seiner Gegenwart eher bedroht, wenn du es wissen willst.“
„Bedroht?“ Hermia zog ungläubig die Brauen hoch. „Von Boscastle? Er würde jeden töten, der dir zu nahe kommt. Es sei denn, du sprichst von einer anderen Art der Bedrohung.“
„Verflixt“, murmelte Julia. „Wo ist bloß dieses Armband?“
„Auf dem Tisch direkt vor deiner Nase. Wieso fühlst du dich von Heath bedroht?“
Julia nestelte am Verschluss des Schmuckstücks. Dann griff sie nach den ellbogenlangen weißen Saffianhandschuhen. „Es ist doch eine unangenehme Situation für uns alle.“
Hermias hellgrüne Augen blitzten. „Er scheint sich in deiner Nähe sichtlich wohlzufühlen.“
Julia starrte auf den Handschuh, als wüsste sie nicht, wie sie ihn anziehen sollte. „Ich fürchte, Russell hat Heath genötigt, den Bewacher für mich zu spielen.“
„Genötigt? Willst du etwa behaupten, Heath habe eine kriminelle Vergangenheit, die ihn erpressbar macht?“
„Aber nein, nichts dergleichen. Ich meine nur, dass Heath ehrenhafter ist, als ihm guttut.“ Und Russell hatte keine Ahnung, was er damit angerichtet hatte, sie beide wieder zusammenzubringen.
„Wie könnte ein Mann zu ehrenhaft sein?“
Julia bewegte die Finger, um sie in die enge Lederhülle zu zwängen. „Du würdest mir einen großen Gefallen tun, wenn du ihn davon überzeugen könntest, dass er nicht hierbleiben muss.“
„Ich denke nicht daran“, entgegnete Hermia entrüstet. „Ich genieße seine Anwesenheit, genau wie du, Julia. Ich sehe in ihm mittlerweile unseren persönlichen Apoll. Zugegeben, er sieht zwar beinahe teuflisch gut aus, aber welche Frau wollte sich darüber beschweren.“
Hermia stand auf und ging zur Tür.
Julia schüttelte verständnislos den Kopf. „Pah! Unser persönlicher Apoll.“
„Du wirst doch aber nicht leugnen, dass er umwerfend gut aussieht.“
Julia ließ ihrer Tante den Vortritt beim Verlassen des Zimmers. „Darum geht es nicht.“ Wenn sie allerdings ehrlich war, musste sie feststellen, dass Heaths Äußeres sehr wohl Teil des Problems war. Sobald sie ihn nur sah, begann ihr Herz zu rasen.
Hermia blieb an der Treppe stehen, ihr Busen wogte unter der fünfreihigen Kette aus kostbaren Barockperlen. „Ein Gott in der Hand ist besser als zwei Götter im Olymp. Ich wäre untröstlich, wenn du unseren Beschützer entlassen würdest.“
An der untersten Stufe angekommen, entdeckte Julia im Halbdunkel einen hochgewachsenen, dunkel gekleideten Mann, der aufmerksam ein Bild an der Wand betrachtete und sich bei ihrem Erscheinen umdrehte. Ihre Finger legten sich um den Mahagoniknauf des Treppengeländers, sie
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