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Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ackroyd
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geleert hatte.
    «Malone hat mir erzählt, Sie besäßen einen Brief an Mistress Hathaway.»
    «Mit einer Haarlocke des Barden.» William nahm Rowlandson das leere Glas ab.
    «Darf ich?»
    «Sir?»
    «Ich möchte nur die Haare berühren.»
    «Sie dürfen.» William holte das Liebesbriefchen aus einer Schublade unter dem Ladentisch hervor und präsentierte es dem Besucher.
    «Ist das der Brief? Stammt diese Locke tatsächlich von Shakespeare? Sie haben ganz ähnliche Haare, Sir. Kastanienbraun mit hellroten Strähnen.»
    Er betrachtete den jungen Mann mit seltsamen, fast scheuen Blicken, aber William war bereits wieder auf dem Weg nach oben, wo er erneut Whisky und ein wenig Wasser ins Glas goss. Als er wieder in den Laden kam, hatte Samuel Ireland eine seiner üblichen Posen eingenommen: Er stand breitbeinig und sehr aufrecht da und hatte die Daumen in seine Westentaschen gehakt.
    Rowlandson las soeben das Briefchen an Anne Hathaway. «Das ist gut», sagte er. «Das trifft es genau. Junge Liebe.» Er las laut den Satz vor, der offensichtlich eine Anspielung auf die Locke als Liebesgabe war. «Kein güld’ner Flitterkram, wie er auf Majestätenhäuptern prangt, noch höchste Ehren könnten mich halb so erfreuen wie dies kleine Geschenk von eigener Hand an dich.» Er gab William das Blatt zurück und griff gierig nach dem angebotenen Getränk. «Das ist köstlich, Sir. Ich meine den Brief. Das ist bewegend. Das ist der wahre Geist. Gemeint ist wiederum – » Er brach in lautes Lachen aus. «Dieses Billet doux trifft den echten Ton. Nur noch einen Schluck, wenn’s beliebt. Einen kleinen, einen ganz winzigen.»
    Samuel Ireland hatte sich nicht bewegt und meinte nun: «Wir besitzen noch einen Schatz. Ein komplettes Manuskript des Lear.»
    «Von ihm selbst geschrieben?»
    «Unserer Ansicht nach schon.» William schenkte nach. «Die derben Stellen hat er verändert.»
    Rowlandson erinnerte sich wieder an eine Zeile aus diesem Stück: «Oh, ihr Götter! Zweiter Akt, zweite Szene.» Er sackte auf einen Stuhl.
    «Allerdings spricht Regan diese Worte, Sir.»
    Rowlandson sah bewundernd zu William auf. «Mr Ireland, Sie sind scharfsinnig. Außerdem haben Sie ein gewinnendes Lächeln.»
    «Es handelt sich um einen jener Ausdrücke, die der Barde geändert hat. Daraus wurde: ‹Güt’ger Himmel!› Um das Metrum beizubehalten, musste er ‹gütiger› zu einem Zweisilber zusammenziehen.»
    Samuel Ireland holte den Lear hervor und überreichte ihn Rowlandson mit einer angedeuteten Verbeugung. Daraufhin stellte der Künstler sein Glas weg, erhob sich und hielt mit zitternden Händen die Manuskriptblätter. «Sehen Sie, ich habe eine ganz heiße, fiebrige Stirn. Sein Feuer erhitzt mich.» Erstaunt beobachtete William, wie Rowlandson auf die Knie sank. «Jetzt kann ich zufrieden sterben. Ich küsse die Aufzeichnungen des Barden und danke Gott, dass ich das noch erleben durfte.»
    «Bitte, bleiben Sie doch sitzen», beschwor ihn Samuel Ireland. «Sie werden sich noch wehtun. Der Boden ist sehr rau.»
    William hatte Rowlandson in Verdacht, dass er schon bei seiner Ankunft leicht betrunken gewesen war, und half dem Schwankenden in die Höhe.
    Rowlandson umklammerte seinen Arm und murmelte: «Gütiger Gott, so viel Energie, so viel Eleganz. Mr Ireland, Sie haben mir eine große Ehre erwiesen, dass ich Ihre Juwelen sehen durfte.»
    «Die Ehre ist ganz unsererseits, Sir.» Samuel Ireland wollte auf keinen Fall unbeachtet bleiben.
    «Sir, Sie sind ein Künstler», sagte William. «Sie verstehen.»
    «Ich weiß.» Rowlandson hielt immer noch Williams Arm. «Könnten Sie mir dann etwas erklären? Der Barde behauptet, die wahrste Poesie würde am meisten erdichten – »
    «Ich glaube, das steht in Verlorene Liebesmüh.»
    « Meint er damit, dass wir eine Lüge bewundern?»
    «Das ist nur eine von Shakespeares geistreichen Metaphern.» Rowlandson ergriff spielerisch Williams Hand. «Erdichtetes kann nie echter sein als das Wahre. Dann würde ja erneut das Chaos regieren.» Er sackte wieder auf den Stuhl und trank sein Glas aus. «Außerdem bewegt mich das nicht sonderlich.»
    «Ich wollte ja nur fragen.»
    «Mr Ireland, Sie sollten nicht fragen. Sie müssen uns Antworten geben. Finden Sie neue Dokumente!»
     
     
    Im Lauf der nächsten Wochen kamen weitere Besucher, deren Zahl noch anstieg, als Samuel Ireland im Morning Chronicle eine Anzeige für das Shakespeare-Museum schaltete.
    William hatte einige verwandte Schriftstücke entdeckt:

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