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Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ackroyd
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Verstand, war zielstrebig und barst vor Energie.»
    «Und er war ehrgeizig?»
    «Natürlich. Wie hätte er sonst so viel erreichen können? Beachten Sie den Wasserspeier über diesem Eingang.»
    «Charles meint, diese Kirche wirke wie die Kulisse einer Pantomime.»
    «Ihr Bruder liebt phantastische Vergleiche. Sollen wir hineingehen?»
    Sie betraten den kühlen Innenraum des Rundbaus, den ein Kranz aus Ritterfiguren säumte. Mary war von diesen Skulpturen aus alter Zeit tief beeindruckt. Auf ihrem Rundgang blieb sie bei jedem Sarkophag stehen und betrachtete die in Stein gehauenen Gesichter. Sie konnte sich mühelos von flackernden Feuern erhellte Hallen aus grauer Vorzeit vorstellen, durch die Rauchschwaden zogen, wo Hunde bellten und Minnesänger auftraten. Als sie aufblickte, war William verschwunden. Er wartete auf sie im Pump Court.
    «In einer solchen Atmosphäre wird man leicht andächtig», sagte er. «Trotzdem ist mir Tugend verhasst, die sich zurückzieht und vor der Welt verschließt. Diese Ritter gehören ins Freie, in die weite Welt hinaus.»
    «Man kann ihnen doch keine Vorwürfe machen, weil sie sich hingelegt haben.» Sie merkte, wie wenig sie ihn kannte. «Schließlich müssen sie nach ihren vielen Abenteuern müde sein.»
    Sie gingen in den King’s Bench Walk hinaus.
    «Und was werden wir erreicht haben?», wollte er von ihr wissen. «Wie wird man uns in Erinnerung behalten?»
    «Inzwischen wissen Sie doch wohl ganz genau, dass man Ihren Namen mit Shakespeare in Verbindung bringen wird.»
    Über diese Bemerkung lachte er. «Genügt das? Glauben Sie wirklich, jemand könnte damit zufrieden sein?»
    «Sehr viele Leute schon.»
    «Mary, Sie verstehen mich noch nicht. Die Blätter sind nur ein Anfang. Zugegeben, sie waren ein Glückstreffer. Es war eine große Ehre zu finden, was ich gefunden habe. Aber sobald ich mir einen Namen gemacht habe, muss ich das ausnutzen und beweisen, wozu ich fähig bin.»
    «Charles sagt Ihnen eine große Zukunft voraus. Seiner Ansicht nach haben Sie eine einzigartige Begabung.»
    «Und wofür genau?»
    «Fürs Schreiben. Er bewundert ihre Essays in den Westminster Words.»
    «Es waren doch erst zwei. Mr Law hat mich um einen Artikel über Bankside gebeten. Wie es dort früher einmal war.»
    Obwohl Mary ihr ganzes Leben in London verbracht hatte, hatte sie von den Stadtteilen außerhalb ihres eigenen Viertels keine klare Vorstellung. Darin unterschied sie sich nicht sonderlich von ihren Nachbarn. «Ich bin mir nicht sicher, was Sie damit meinen», sagte sie.
    «Southwark. Das Südufer. Dort drüben, wo früher mal das Globe stand. Und die Bärengrube. Er möchte, dass ich die pittoreske Szenerie zur Tudorzeit im Vergleich zur modernen Zeit wiedergebe. Wussten Sie, dass bei Shakespeare das Wort ‹modern› gleichbedeutend mit ‹gewöhnlich› oder ‹trivial› ist?»
    «Darf ich mitkommen?»
    «Das sagt doch viel aus, Mary, oder nicht? Modern zu sein hieß in seinen Augen, banal zu sein. Uninteressant. Wir stellen uns die elisabethanische Zeit als üppig-bunten Teppich vor, aber er blickte lieber auf Lear und Cäsar zurück. Was sagten Sie gerade?»
    «Darf ich Sie nach Southwark begleiten? Ich bin noch nie dort gewesen.»
    «Um Himmels willen, Mary. Das ist kein gutes Viertel und außerdem schmutzig.»
    «Das stört mich nicht. Hat nicht Shakespeare dort gelebt und gespielt?»
    «Angeblich ja.»
    «Dann muss ich es sehen.»
    Sie gingen vom King’s Bench Walk zum Fluss hinunter.
    «Mein Vater hat uns beobachtet», sagte er.
    «Was?»
    «Er ist mir nachgegangen.» William lachte. Es klang ein wenig unsicher.
    «Aber es ist doch nichts – »
    «Nichts zwischen uns? Ich weiß. Aber das war auch gar nicht der Grund, warum er mir nachspioniert hat. Er war auf Shakespeare aus.»
    Mary erwiderte nichts. Vielleicht hatte sie sein offenes Eingeständnis, dass zwischen ihnen nichts als Freundschaft war, ein wenig bedrückt.
    «Er will unbedingt den Fluss bis zur Quelle zurückverfolgen. Er traut mir nicht.»
    «Er traut Ihnen nicht? Ihr eigener Vater?»
    «Er hat einen seltsamen Charakter. Sobald es um Geld geht, wird er wild.» Einige Augenblicke liefen sie stumm weiter. «Er möchte unbedingt wissen, woher die Manuskripte stammen. Er betrachtet sie als Goldschatz, der in der Höhle eines Kaufmanns versteckt liegt, wie ein Relikt aus einem Märchen.»
    «Und Sie sind der Prinz mit der Lampe.» Merkwürdigerweise fand sie diesen Vergleich passend. «Sie beherrschen den Geist

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