Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ackroyd
Vom Netzwerk:
nüchterner und ein wenig geldgieriger Mensch. Er hatte seinen Verdienst auf die jährliche Arbeitszeit umgelegt und sich daraus einen Stundenlohn von fünf Pence und drei Heller errechnet. Wenn es ihm gelang, eine Stunde Arbeitszeit zu vertrödeln, trug er diese Summe in eine Tabelle in seinem Schreibpult ein und addierte sie zu seinem laufenden Salär dazu. Nach getaner Tagesarbeit besuchte er oft mit Siegfried die kleineren Theater. Siegfried verfolgte mit ehrlicher Begeisterung die Vorgänge auf der winzigen Bühne. Unglückselige Wendungen im Stück ließen ihn oft in Tränen ausbrechen, während Alfred unverhohlen Schauspielerinnen und Statistinnen anstarrte.
    «Meiner Ansicht nach können wir die Aufführung dieser Komödie gleich streichen», sagte Mary, «wenn die ganze Zeit nur gekichert wird.»
    «In den Predigten von Barrows heißt es», erklärte ihr Selwyn Onions, «beim Kichern würde die Lunge wackeln. Das nennt man dann ‹Summen›.»
    Diese Bemerkung war für Tom Coates zu viel. Er krümmte sich in seinem Stuhl zusammen. Selwyn war für seine hilfreichen Erläuterungen bestens bekannt, aber leider auch dafür, dass seine Fakten und Details fast immer falsch waren. «Selwyn sagt…» war in der Ostindien-Kompanie zum geflügelten Wort geworden. Denn damit war immer auch gemeint, dass sich diesem Auftakt purer Blödsinn anschloss.
    Inzwischen waren sie zu der Stelle innerhalb der Szene gekommen, wo Siegfried, in der Rolle des Flaut, auf das Stichwort von Peter Squenz hin – «Franz Flaut, der Bälgenflicker!» – seinen ersten Auftritt hatte.
    «Ich ein Bälgenflicker? Ich dachte, ich hätte etwas mit Flöten zu tun. Das legt doch der Name nahe.»
    «Nein, Siegfried.» Benjamin Milton schlüpfte kurz aus seiner Rolle als Squenz. «Das bezieht sich auf deine Stimmlage. Du musst flöten.»
    «Und wie klingt das?»
    «Hell. Näselnd.»
    «Nicht tänzerisch oder musikalisch?»
    «Das steht nicht im Text. Elisabethanische Flöten waren für ihren näselnden, schwachen Klang bekannt.»
    «Also, ich muss schon sehr bitten. Kein Drinkwater war je schwach. Frag mal die Bevölkerung von Guernsey.»
    «Gehen Sie einfach ein bisschen höher, Mr Drinkwater.»
    «Was soll das heißen, Miss Lamb?»
    «Modulieren Sie Ihre Stimme eine Tonleiter höher. Wiederholen Sie Ihre Zeile, Mr Milton.»
    «Franz Flaut, der Bälgenflicker!»
    «Hier, Peter Squenz!»
    «Flaut, Ihr müßt Thisbe über Euch nehmen.»
    «Was ist Thisbe? Ein irrender Ritter?»
    «Es ist das Fräulein, das Pyramus lieben muß.»
    «Ne, meiner Seel, laßt mich keine Weiberrolle machen. Ich werde keine Frau spielen.» Siegfried war tief empört. «Charles, du hast gesagt, ich würde einen ehrlichen Handwerksmann spielen.»
    «Genau das tust du ja auch.»
    «Ich werde kein Kleid anziehen.»
    Erneut schaltete sich Selwyn Onions nur allzu bereitwillig ein. «Du musst doch höchstens einen Kittel oder eine Schürze tragen.»
    «Also wirklich, ich muss schon bitten. Habe ich dich richtig verstanden? Eine Schürze? Ein echter Drinkwater kennt nicht einmal dieses Wort.»
    Benjamin Milton und Tom Coates verfolgten das Gespräch ganz offensichtlich mit diebischem Vergnügen. Benjamin zog einen mit Porter gefüllten Flachmann hervor und genehmigte sich daraus verstohlen einen Schluck. Dann reichte er ihn an Tom weiter, der sich zum Trinken abwandte.
    Alfred Jowett beugte sich zu ihnen hinüber. «Und so etwas an einem Sonntagmorgen. Sind sie in der Kirche?» Er deutete auf das Lamb’sche Haus.
    «Ich glaube nicht», sagte Tom. «Allerdings ist Mrs Lamb sehr gläubig. Heißt es wenigstens.»
    «Der Papi soll Vogelhändler sein.»
    «Was?»
    «Bei dem piept’s.» Er umkreiste mit dem Zeigefinger seine Schläfe. «Scheint erblich zu sein.»
    Mary Lamb soufflierte Siegfried die nächste Zeile: «Ne, meiner Seel, laßt mich keine Weiberrolle machen: Ich kriege schon einen Bart! Sehen Sie, Mr Drinkwater, Sie sind wirklich ein Mann. Daran besteht kein Zweifel.»
    «Wird das auch das Publikum wissen?»
    «Selbstverständlich. Wir werden Ihnen einen hohen Hut aufsetzen. Dann weiß man ganz genau, welchen Geschlechts Sie sind.»
     
     
    Mary hatte prächtige Ideen für dieses Stück. Als Charles sie gebeten hatte, seinen Kollegen zu soufflieren und Regie zu führen, war sie ganz aus dem Häuschen gewesen. Während der letzten Wochen hatte sie innerlich eine unbändige Energie gespürt, eine kaum zu unterdrückende Begeisterung, und diese Erfahrung wollte sie unbedingt

Weitere Kostenlose Bücher