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Wie es uns gefällt

Wie es uns gefällt

Titel: Wie es uns gefällt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ackroyd
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umsetzen. Deshalb stürzte sie sich bereitwillig auf die kurze Komödie mit den Handwerkern, die in die größere Komödienhandlung des Sommernachtstraum eingebettet war. Sie hatte Charles geholfen, die Einzelszenen zu einem Ganzen zu verbinden, und hatte für einen durchgängigen Handlungsverlauf sogar zusätzlich einige Dialoge und Aktionen geliefert. Allerdings hatte sie William Ireland kein Wort von diesem Vorhaben erzählt. Er hätte sich ausgeschlossen gefühlt, davon war sie überzeugt. Außerdem hätte er daraus sicher falsche Schlüsse gezogen. Hier handelte es sich um eine jener komplizierten zwischenmenschlichen Situationen, die Shakespeare so klar darstellen konnte. Vermutlich hätte William Ireland seinen Ausschluss auf die Tatsache zurückgeführt, dass er eben nur ein Ladengehilfe war, und hätte sich ungemein beleidigt gefühlt, da er ja auch noch literarische Ambitionen hegte. Er war ein Emporkömmling, der in der feinen Gesellschaft nichts zu suchen hatte. Sein Gewerbe hatte damit nicht das Geringste zu tun.
    «Sollen wir Mr Ireland einladen, mit uns Theater zu spielen?», hatte Charles seine Schwester gefragt.
    «William? O nein», hatte sie schnell geantwortet. «Er ist viel zu – » Sie hatte an das Wort «sensibel» gedacht. «Zu ernst.»
    «Ich weiß, was du meinst. Er würde unseren kleinen amüsanten Zeitvertreib nicht schätzen.»
    «Für ihn ist Shakespeare etwas Heiliges geworden.»
    «Andererseits wüsste er doch, dass wir alles mit bester Absicht machen.»
    «Natürlich, aber William widmet diesen Manuskripten so viel Zeit und Aufmerksamkeit – »
    «Dass er darüber die spielerische Seite vergisst.»
    «Nicht solche Töne. Spar dir das für deine Freunde auf.» Schon längst hatte Charles Lamb seine Schwester im Verdacht, dass sie für William Ireland mehr empfand, als sie sich einzugestehen wagte. Die Art, wie sie sich um ihn sorgte und ängstlich auf seine vermeintlichen Gefühle Rücksicht nahm, unterstrich noch ihr Interesse an ihm. Plötzlich musste er an ein waidwundes Reh denken, ohne dass er hätte sagen können, ob er damit William in Verbindung brachte oder Mary.
     
     
    «Habt Ihr des Löwen Rolle aufgeschrieben?» Tom Coates las die Rolle des Schnock. «Bitt Euch, wenn Ihr sie habt, so gebt sie mir; denn ich hab einen schwachen Kopf zum Lernen!»
    «Wohl wahr!»
    «Mr Jowett, bitte, keine Zwischenrufe! Fahren Sie fort, Mr Milton.»
    «Ihr könnt sie ex tempore machen: Es ist nichts wie brüllen.»
    «Mr Milton, könnten Sie diese Sätze ein bisschen gewöhnlicher sprechen? Was meinen Sie?» Mary war ganz in den Text vertieft und sah nicht auf. «So, dass es vulgär klingt?»
    «Das dürfte sehr schwierig werden, Miss Lamb.»
    «Bitte, versuchen Sie’s. Schnock darf sich nicht wie ein Kontorist anhören, sondern wie ein Zimmermann.»
    Als Charles merkte, wie konzentriert und eifrig seine Schwester ihre Aufführung leitete, war er ziemlich überrascht gewesen. Inzwischen hatte er den Eindruck, als würde sie alles auf die Spitze treiben. Obendrein war sie in den letzten Wochen nervös und gereizt gewesen und hatte besonders ihre Mutter ständig angeherrscht.
    Vor drei Tagen hatte Mrs Lamb Tizzy gescholten, weil sie verbrannten Toast an den Tisch gebracht hatte. «Was ist mit dir los?», hatte sie die alte Bedienstete gefragt. «Mr Lamb kann harte Rinde nicht ausstehen.»
    Mary schleuderte einen Teelöffel voll Zucker, den sie eben noch über ihre Tasse gehalten hatte, aufs Tischtuch. «Mutter, dieses Haus ist keine Erziehungsanstalt. Wir sind nicht deine Gefangenen.»
    Mr Lamb blickte sie halb zärtlich, halb bewundernd an und flüsterte: «Am Treppenende links, letzte Tür.»
    Mrs Lamb sah nur stumm und erstaunt zu, wie Mary aufstand und das Zimmer verließ. Charles butterte mit dem Ausdruck höchster Konzentration seinen Toast.
    «Ich begreife dieses Mädchen nicht», sagte Mrs Lamb, «sie ist so wetterwendisch. Was sagen Sie dazu, Mr Lamb?»
    «Nord auf Nordost», murmelte er, womit sich seine Frau offensichtlich zufrieden gab.
    Charles neigte dazu, Marys sprunghaftes Verhalten ihrer Freundschaft mit William Ireland zuzuschreiben. Dieser junge Mann machte sie unruhig. Allerdings warf ihm Charles das nicht direkt vor, denn seines Wissens nach benahm sich William mustergültig. Andererseits war Mary bisher noch nie eine vertrauensvolle Beziehung zu einem relativ fremden Menschen eingegangen. So einfach war das und – so ernst.
    «‹Is ja nüschte wie Jebrüll.›»

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