Wie es uns gefällt
Ireland.»
«Unmöglich. Wie könnte er die Welt so an der Nase herumführen?»
«Wenigstens London. Charles, er ist viel schlauer, als du denkst. Wenn ich ihn reden höre, wird mir immer bewusst, wie präzise sein Gehirn funktioniert. Er ist ungemein scharfsinnig.»
«Aber doch nicht gleich so, dass er ein Stück im Stil des sechzehnten Jahrhunderts schreibt – also reinste Poesie. Oder?»
«Chatterton hat das auch fertiggebracht. Und er war damals sogar noch jünger. Unmöglich ist es nicht.»
«Aber unwahrscheinlich. Höchst unwahrscheinlich.»
«Schreiben kann er. Du hast seine Essays gelesen. Vielleicht ist Mr Ireland tiefsinniger, als du glaubst.»
«Deine Theorie muss ich unbedingt Mary erzählen.»
«Bloß nicht», rief de Quincey sehr bestimmt. «Das darfst du Mary unter keinen Umständen erzählen.»
«Ich weiß, was du jetzt sagen willst.»
«Hör mir trotzdem zu. Sie ist momentan viel zu – viel zu fragil.» De Quincey suchte nach dem richtigen Ausdruck. «Sie könnte zusammenbrechen.»
«Du meinst, es bräche ihr das Herz? Unsinn.»
«Wirklich, Charles, manchmal siehst du den Wald vor lauter Bäumen nicht.»
«Was nicht da ist, kann ich auch nicht sehen.»
«Aber Mary ist da. Kannst du nicht erkennen, dass sie sich nach ihm verzehrt? Ihre Krankheit? Ihre Nervosität? William Ireland hat sie vollkommen durcheinandergebracht. Und er hat nicht die geringste Absicht, etwas dagegen zu tun.»
Charles ließ sich nicht anmerken, ob ihn de Quinceys Schilderung überrascht hatte. In den letzten Wochen neigte Mary zu noch heftigeren Temperamentsausbrüchen, und auch ihre innere Unruhe trat immer deutlicher zutage. Charles hatte beides auf die fortschreitende Senilität ihres Vaters geschoben. Dass sie sich als Irelands Beschützerin fühlte und ihm sogar eine gewisse Zuneigung entgegenbrachte, wusste er. Aber dass sie insgeheim in ihn verliebt war? «Demnach wäre sie eine liebeskranke Ophelia», sagte er.
«Charles, warum musst du alles so dramatisch sehen? Mary ist keine Figur aus einem Theaterstück. Sie leidet.» De Quincey schwieg einen Moment. «Ireland spielt mit Gefühlen wie mit Wörtern.»
«Und darum darf ich ihr deine Theorie nicht erklären.»
«Das wäre sicher besser.»
De Quincey ging vom Billiter Inn in seine Unterkunft in der Berners Street. Noch immer hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, auf den belebten Straßen dieses Viertels Anne wiederzufinden, und sich deshalb in der Nähe des verlassenen Hauses, wo er zuerst gewohnt hatte, ein Zimmer genommen. Einmal bildete er sich ein, sie an der Ecke der Newman Street sitzen zu sehen, aber als er hinlief, war der Platz leer. Er malte sich schreckliche Bilder aus: Anne, die an Kummer und Einsamkeit zerbrach; Anne, die in die Themse ging; Anne, missbraucht und geschlagen. Oh! Eine Feuermuse, um Licht in Londons Dunkelheit zu werfen! Gerade als ihm dieses abgewandelte Zitat einfiel, sah er, wie William den Schreibwarenladen am unteren Ende der Berners Street betrat. Trotz der späten Stunde hatte Ireland die Tür geöffnet, ohne vorher anzuklopfen. Als de Quincey rasch an der Ladenfront vorbeilief, warf er verstohlen einen Blick durchs Schaufenster. Der ältere Mann hinter dem Ladentisch händigte Ireland soeben ein Päckchen aus. Mehr konnte er in der kurzen Zeit nicht erkennen.
Er ging weiter und betrat das Haus, in dem er wohnte. Trotz seiner Warnung an Charles blieb de Quincey Ireland freundschaftlich verbunden, ja, auf gewisse Weise bewunderte er ihn sogar. Er hielt ihn für einen guten Schauspieler, dessen Bühne die Welt war, bekannte aber gleichzeitig frank und frei, dass er ihn nicht wirklich verstand.
Er wollte gerade in sein Zimmer gehen, da klopfte es an der Haustür. Auf der Treppe stand Ireland mit dem in braunes Packpapier gewickelten Päckchen. «Ich habe dich vorbeigehen sehen», sagte er. «Du hast mich nicht bemerkt.»
«Wo warst du denn?»
«Bei Askew. Er gibt mir den Züricher Katalog. Ein liebenswürdiger alter Kauz.»
«Kommen Sie herein, Herr Dramatiker! Ich hätte da ein Fläschchen, das Ihre Bekanntschaft machen möchte.» De Quinceys Zimmer lag im Erdgeschoss und ging direkt auf die Berners Street hinaus.
«Tom, ich bin kein Dramatiker. Ich bin nur der Mittelsmann.»
«Das weiß ich doch. Du bist das, was die Mathematiker als Mittelwert bezeichnen, ohne den es weder einen oberen noch einen unteren Wert gibt.»
«Und das Stück ist dabei der obere Wert?»
«Solange Shakespeare nicht der
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