Wie funktioniert die Welt?
abhängt; es ist aber eine Begründung dafür, warum ein exponentieller Verlauf in diesem Bereich möglich ist.
John C. Mather
Kosmische Komplexität
Leitender Astrophysiker, Observational Cosmology Laboratory, Goddard Space Center der NASA ; Coautor (mit John Boslough) von The Very First Light
Wie erklärt man die außerordentliche Komplexität des beobachtbaren Universums in allen Größenmaßstäben von den Quarks bis zu seiner immer schnelleren Ausdehnung? Meine Lieblingserklärung (die ich mit Sicherheit nicht erfunden habe) lautet: Die grundlegenden Gesetze der Physik erzeugen eine natürliche Instabilität, Energieströme und Chaos. Manche bezeichnen das Ergebnis als Lebenskraft, manche stellen fest, dass die Erde selbst ein lebendes System ist (Gaia, das »zähe Miststück«, wie die verstorbene Lynn Margulis es formulierte), und manche gelangen zu dem Schluss, es müsse für die beobachtete Komplexität übernatürliche Erklärungen geben (von denen wir viele kennen). Mein Vater war Statistiker (für Milchkühe) und erzählte mir schon, als ich noch sehr klein war, von Zellen, Genen, Evolution und Zufall. Ein Wissenschaftler muss also nach einer Erklärung dafür suchen, wie die Naturgesetze und Statistik für unser bewusstes Dasein verantwortlich sind. Und wie kommt es, dass ständig scheinbar unwahrscheinliche Ereignisse stattfinden?
Nun, Physiker kennen unzählige Beispiele für natürliche Instabilität und dafür, wie Energie freigesetzt wird und den Wandel von der Einfachheit zur Komplexität antreibt. Eines der bekanntesten: Wasserdampf, der unter den Gefrierpunkt abkühlt, bildet Schneeflocken, von denen zwei sich nie völlig gleichen und die alle komplex und schön sind. Schneeflocken sehen wir oft, deshalb sind wir nicht erstaunt. Aber Physiker haben so viele Übergänge von einer Struktur zu einer anderen beobachtet (wir nennen sie Phasenübergänge), dass man 1992 den Nobelpreis für die Leistung verleihen konnte, die mathematischen Grundlagen ihrer gemeinsamen Merkmale aufzuklären.
Betrachten wir einmal ein paar Beispiele dafür, wie die Naturgesetze die Instabilitäten entstehen lassen, die zu unserem eigenen Dasein führen. Der Urknall (was für ein unzureichender Name!) entstand offenbar aus einer Instabilität, bei der das »falsche Vakuum« schließlich zu dem gewöhnlichen Vakuum, das wir heute haben, zerfiel, wobei gleichzeitig die fundamentalsten bekannten Teilchen, die Quarks und Leptonen, entstanden. Am Anfang des Universums als Ganzes stand also eine Instabilität. Dann kam es zu der großen Ausdehnung und Abkühlung, und die einsamen Quarks, die selbst ebenfalls instabil waren, verbanden sich zu den heutigen, weniger elementaren Teilchen – Protonen und Neutronen –, wobei ein wenig Energie frei wurde und Komplexität entstand. Danach kühlte sich das expandierende Universum weiter ab, und Neutronen und Protonen, die nicht mehr durch ungeheuer hohe Temperaturen auseinandergehalten wurden, waren wiederum instabil und bildeten Heliumkerne. Dann ein wenig mehr Abkühlung, Atomkerne und Elektronen wurden ebenfalls nicht mehr auseinandergehalten, und das Universum wurde durchsichtig. Weitere Abkühlung, und die nächste Instabilität begann: Die Gravitation zog die Materie über kosmische Entfernungen zusammen, Sterne und Galaxien bildeten sich. Diese Instabilität wird als »negative Wärmekapazität« bezeichnet: Entzieht man einem System, das unter dem Einfluss der Gravitation steht, Energie, wird es heißer – der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik gilt hier offensichtlich nicht. (Dies ist für Physiker die Version des »Wunders, das die Sterne auseinanderhält« eines E. E. Cummings.) In der nächsten Instabilität verschmelzen Wasserstoff- und Heliumkerne, wodurch Energie frei wird und die Sterne jahrmilliardenlang leuchten. Geht dann der Brennstoff zur Neige, werden Sterne instabil, explodieren und setzen ihre chemischen Elemente in den Weltraum frei. Deshalb sorgt fortgesetzter Energiefluss auf Planeten wie der Erde für die Entwicklung zusätzlicher Instabilitäten und aller möglichen komplexen Muster. Gravitations-Instabilität zieht die dichtesten Materialien in den Erdkern, und zurück bleibt eine dünne Haut aus Wasser und Luft, während das Innere unaufhörlich durchmischt wird, weil Wärme nach außen fließt. Und die Wärme von der Sonne, die vorwiegend in der Nähe des Äquators auftrifft und zu den Polen fließt, treibt die komplexen Kreisläufe von
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