Wie funktioniert die Welt?
Zukunft unserer Zivilisation
Sie sind – zumindest in Form von Anekdoten – bereits allgemein bekannt. Fast jeder hat schon einmal vom Massenerhaltungsgesetz gehört (wobei manchmal »Materie« anstelle von »Masse« steht) und vermutlich auch von seinem Partner, dem Energieerhaltungsgesetz. Diese Gesetze besagen, dass Materie und Energie im Zusammenhang mit praktischen, realistischen Phänomenen (das heißt mit solchen, die nichts mit Quanten oder allgemeiner Relativität zu tun haben) weder erschaffen noch zerstört, sondern nur hin und her geschoben werden können. Die Ursprünge dieser Vorstellung reichen mindestens bis zu den alten Griechen zurück, formell gefasst wurde sie im 18 . Jahrhundert (was für die moderne Chemie einen großen Fortschritt darstellte), und heute bilden sie die Grundlage für praktisch alle Aspekte der physikalischen und biologischen Wissenschaft. Die Erhaltung der Masse (oder Materie) machte die Bestrebungen der Alchemisten, Blei in Gold zu verwandeln, endgültig zunichte; die Energieerhaltung ist der Grund, warum die ehrfurchtgebietende Kraft eines Zauberstabes in die Phantasiewelt der unzähligen
Herr-der-Ringe
-Fans verbannt werden musste.
Die Kontinuitätsgleichungen treiben diese Gesetze einen wichtigen Schritt weiter voran: Sie liefern ausdrücklich mathematische Formulierungen, mit denen sich die Speicherung und/oder Übertragung von Masse (Massenkontinuität) und Energie (Energiekontinuität) von einem Ort oder Zustand zum anderen verfolgen lassen. Als solche sind sie eigentlich nicht ein einziges Paar von Gleichungen, sondern man kann sie in verschiedenen Formen schreiben, um so das physikalische Phänomen, das sie beschreiben sollen, möglichst gut zu repräsentieren; das Spektrum reicht dabei vom sehr Einfachen bis zum sehr Komplizierten. Die elegantesten Formen, die von Mathematikern und Physikern gleichermaßen bewundert werden, sind voller feiner Einzelheiten und deshalb am kompliziertesten. Ein klassisches Beispiel sind die Navier-Stokes-Gleichungen (manchmal auch Saint-Venant-Gleichungen genannt), mit deren Hilfe man die Bewegung und Beschleunigung von Flüssigkeiten verstehen kann. Die Schönheit der Navier-Stokes-Gleichungen liegt darin, dass sie Masse, Energie und Impuls in Raum und Zeit ausdrücklich unterteilen und verfolgen. In der Praxis sind die Gleichungen wegen solcher Details aber auch schwierig zu lösen – dies erfordert entweder massive Computerleistung oder vereinfachende Annahmen, die man in den Gleichungen selbst anstellt.
Die Leistungsfähigkeit der Kontinuitätsgleichungen beschränkt sich aber nicht auf komplexe Formen, die nur für Mathematiker und Physiker verständlich sind. Ein Forstwirt beispielsweise kann mit einer einfachen sogenannten Massenbilanz, einer Form der Massenkontinuitätsgleichung, einen Wald untersuchen: Dabei addiert er Zahl, Größe und Dichte der Bäume, ermittelt, mit welcher Geschwindigkeit Keimlinge sich festsetzen, und subtrahiert dann die Sterblichkeit der Bäume und die Zahl der entnommenen Lastwagenladungen an Holz; auf diese Weise kann er feststellen, ob der Holzgehalt (das heißt die Biomasse) des Waldes insgesamt zunimmt, abnimmt oder stabil bleibt. Fahrzeugingenieure wenden routinemäßig einfache Energiebilanzgleichungen an, wenn sie beispielsweise ein Hybridauto entwerfen, dessen Bewegungsenergie aus dem Bremssystem wiedergewonnen werden soll. Energie wird dabei nie erschaffen oder zerstört, sondern nur wieder eingefangen – in diesem Fall aus einem Verbrennungsmotor, der sie durch die Auflösung uralter chemischer Bindungen gewonnen hat, die aus Photosynthesereaktionen stammen, deren Energie von der Sonne kam. Auch die verbleibende, nicht wiedergewonnene Energie aus den Bremsen geht natürlich nicht verloren, sondern sie gelangt in Form geringfügiger Wärme in die Atmosphäre.
Hinter diesen Gesetzen und Gleichungen steht die Grundannahme, dass Masse und Energie in einem geschlossenen System erhalten bleiben. Im Prinzip entspricht das Hybridauto nur dann der Energiekontinuität, wenn man seinen Verbrauch vom Anfang (der Sonne) bis zum Ende (der Verteilung von Wärme in der Atmosphäre) verfolgt. Da solche Berechnungen umständlich sind, betrachtet man den Prozess in der Regel als offenes System. Das zur Herstellung des Autos verwendete Metall entspricht nur dann der Massenkontinuität, wenn man es von seiner Quelle (dem Erz) bis zur Müllkippe verfolgt. Dies ist eher praktikabel, und eine solche
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