Wie funktioniert die Welt?
erklärt, von denen mir nie klar war, dass sie einer Erklärung bedürfen, bis ich die Erklärung erhielt.
Anhand einer solchen Erklärung möchte ich jetzt die Bedeutung der ESS deutlich machen. Eines sollte ich dabei anmerken: Smith entwickelte die ESS (zusammen mit seinen Kollegen G.R. Price und G.A. Parker) mit Hilfe der mathematischen Spieltheorie, ich möchte aber den wichtigsten Gedanken nahezu ohne Mathematik erläutern.
Stellen wir uns einmal eine weitverbreitete Tierart vor, beispielsweise Katzen, Hunde, Menschen oder Steinadler. Warum gibt es bei ihnen allen eine (nahezu) gleiche Zahl von Männchen und Weibchen? Warum beobachtet man bei einer Spezies nicht manchmal 30 Prozent Männchen und 70 Prozent Weibchen? Oder andersherum? Oder irgendein ganz anderes Zahlenverhältnis? Warum liegt das Geschlechterverhältnis fast genau bei 50 zu 50 ? Diese Frage hatte zumindest ich mir nie gestellt, bis ich die elegante Antwort las.
Betrachten wir einmal die Walrosse: Auch sie leben mit dem normalen Geschlechterverhältnis von 50 zu 50 , aber die meisten Walrossmännchen sterben jungfräulich, während nahezu alle Weibchen sich paaren. Nur wenige dominante Männchen haben ein Monopol auf die meisten Weibchen. Wozu ist es also gut, dass sich so viele andere Männchen herumtreiben? Sie verbrauchen Nahrung und Ressourcen, aber für das Einzige, was in der Evolution zählt, sind sie nutzlos – sie pflanzen sich nicht fort. Aus Sicht der Spezies wäre es besser und effizienter, wenn nur ein kleiner Anteil der Walrosse Männchen wären und alle anderen Weibchen; eine solche Walrossart könnte ihre Ressourcen viel effizienter nutzen, und nach der Logik der Gruppenselektionisten würde sie die tatsächlich existierende Spezies mit ihrem ineffizienten Geschlechterverhältnis von 50 zu 50 schon bald verdrängen. Warum ist das nicht geschehen?
Die Antwort: Weil eine Population von Walrossen (stattdessen könnte man auch jede andere erwähnte Tierart einschließlich des Menschen nennen) mit beispielsweise zehn Prozent Männchen und 90 Prozent Weibchen (oder jedem anderen Verhältnis, das von 50 zu 50 abweicht) über eine große Zahl von Generationen nicht stabil wäre. Warum nicht? In unserem Beispiel mit zehn Prozent Männchen und 90 Prozent Weibchen erzeugt jedes Männchen ungefähr neunmal so viele Junge wie ein Weibchen, indem es sich erfolgreich mit durchschnittlich neun Weibchen paart. Stellen wir uns einmal eine solche Population vor. Für die Männchen wäre es evolutionär von Vorteil, mehr Söhne als Töchter zu produzieren, weil man damit rechnen kann, dass jeder Sohn neunmal so viele Nachkommen erzeugt wie jede Tochter. Um dies klarer zu machen, möchte ich einige Zahlen nennen: Angenommen, ein durchschnittliches Walrossmännchen ist der Vater von 90 Kindern, darunter durchschnittlich neun Männchen und 81 Weibchen; ein durchschnittliches Walrossweibchen bringt zehn kleine Walrosse zur Welt, von denen nur eines ein Männchen ist, und neun sind Weibchen. So weit klar?
Die Sache hat einen großen Haken: Angenommen, in einem der Walrossmännchen ist eine Mutation aufgetreten – was bei einer großen Zahl von Generationen sehr wahrscheinlich ist –, und diese Mutation sorgt dafür, dass das betreffende Männchen mehr (Männchen produzierende) Spermien mit Y-Chromosomen als (Weibchen produzierende) Spermien mit X-Chromosomen erzeugt. Dieses Gen würde sich in der beschriebenen Population wie ein Lauffeuer ausbreiten. Innerhalb weniger Generationen würden immer mehr Männchen das Gen besitzen, das dafür sorgt, dass sie mehr männliche als weibliche Nachkommen haben, und wenig später haben wir das Verhältnis von 50 zu 50 , das wir in der Realität beobachten.
Für die Weibchen gilt das Gleiche: Jede Mutation, die dazu führt, dass ein Weibchen mehr männliche als weibliche Nachkommen hervorbringt (das Geschlecht wird zwar nicht von der Ei-, sondern von der Samenzelle bestimmt, es gibt aber andere Mechanismen, mit deren Hilfe das Weibchen das Geschlechterverhältnis beeinflussen könnte) würde sich in der Population schnell ausbreiten, so dass das Verhältnis sich mit jeder nachfolgenden Generation stärker dem Wert von 50 zu 50 annähert. Aus diesen Gründen ist jede signifikante Abweichung von dem Geschlechterverhältnis von 50 zu 50 evolutionär instabil, und durch Zufallsmutationen wird sich der Gleichstand bald wieder einstellen. Das ist nur ein Beispiel für die tiefgreifende, elegante,
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