Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie funktioniert die Welt?

Wie funktioniert die Welt?

Titel: Wie funktioniert die Welt? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Brockman , Herausgegeben von John Brockman
Vom Netzwerk:
Dann zeigte Thomas Morgan, dass Taufliegen, die man mit Röntgenstrahlen bombardiert, zu Mutanten mit punktförmigen Veränderungen in den Chromosomen werden; daraus ergab sich die eindeutige Schlussfolgerung, dass die entscheidenden Abläufe an den Chromosomen stattfinden. Chromosomen bestehen aus Histonen und DNA ; der britische Bakteriologe Fred Griffith wies schon 1928 nach, dass eine harmlose Bakterienart sich bei gemeinsamer Inkubation mit einer virulenten, durch Hitze abgetöteten Spezies in die virulente Art verwandelt. Das war fast so erstaunlich, als würde ein Schwein in ein Zimmer laufen, in dem sich ein Schaf befindet, und anschließend kommen zwei Schafe heraus. Später wies Oswald Avery nach, dass es sich bei dem transformierenden Prinzip um die DNA handelt. In der Biologie führen Kenntnisse über Strukturen häufig zu Erkenntnissen über die Funktion – dazu braucht man nicht weiter zu blicken als in die gesamte Medizingeschichte. Von Griffith und Avery angeregt, erkannten Crick und Watson, dass die Antwort auf das Problem der Vererbung in der Struktur der DNA liegt. Entscheidend war die Lokalisierung, und das Gleiche könnte sich auch bei der Gehirnfunktion herausstellen.
    Crick und Watson beschrieben die DNA -Struktur nicht nur, sondern sie erläuterten auch ihre Bedeutung. Sie erkannten die Analogie zwischen den komplementären Molekülsträngen und der Komplementarität zwischen Eltern und Nachkommen – den Grund, warum Schweine stets Schweine hervorbringen und keine Schafe. In diesem Augenblick war die moderne Biologie geboren. Ähnliche Zusammenhänge bestehen auch zwischen Gehirnstruktur und geistigen Funktionen, zwischen Neuronen und Bewusstsein. (Ich stelle diese Selbstverständlichkeit hier nur deshalb fest, weil einige Philosophen, die sogenannten »neuen Mystiker«, das Gegenteil behaupten.)
    Nach seinem triumphalen Erfolg in der Vererbungslehre wandte sich Crick dem »zweiten großen Rätsel« in der Biologie zu, wie er es nannte: dem Bewusstsein. Es gab viele Skeptiker. Ich kann mich noch erinnern, wie Crick einmal am Salk Institute hier in La Jolla einen Vortrag über das Bewusstsein hielt. Er hatte kaum die ersten Worte gesagt, da hob einer der Zuhörer die Hand und sagte: »Aber Dr. Crick, Sie haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, das Wort ›Bewusstsein‹ zu definieren, bevor sie sich damit beschäftigen.« Darauf gab Crick eine denkwürdige Antwort: »Ich möchte Sie daran erinnern, dass es in der Geschichte der Biologie nie eine Zeit gab, in der sich ein paar von uns an einen Tisch gesetzt und gesagt haben: ›Lasst uns erst einmal definieren, was wir mit Leben meinen.‹ Wir sind einfach hingegangen und haben entdeckt, was es ist – eine Doppelhelix. Fragen der semantischen Hygiene überlassen wir euch Philosophen.«
    Nach meiner Überzeugung gelang es Crick nicht, das Rätsel des Bewusstseins (was damit auch gemeint sein mag) zu lösen. Immerhin hatte er aber die richtige Richtung eingeschlagen. Zuvor war er in seiner Berufslaufbahn bereits reich belohnt worden, weil er die Analogie zwischen biologischen Komplementaritäten begriffen hatte, die Vorstellung, dass die Logik der Molekülstruktur über die Logik der Vererbungsfunktion bestimmt. Angesichts des ungeheuren Erfolges, den er auf diese Weise mit der Strategie einer Herstellung von Analogien zwischen Struktur und Funktion erzielte, ist es kaum verwunderlich, dass er die gleiche Denkweise auch auf die Erforschung des Bewusstseins übertrug. Zu diesem Zweck konzentrierten er und sein Kollege Christof Koch sich auf eine relativ rätselhafte Struktur, das Claustrum (auch Vormauer genannt).
    Das Claustrum ist eine dünne Zellschicht unter der Inselrinde im Gehirn; eine solche Schicht liegt in jeder Gehirnhälfte. Histologisch ist sie einheitlicher als die meisten anderen Gehirnstrukturen, und im Gegensatz zu diesen, die Signale jeweils an eine kleine Untergruppe anderer Strukturen aussenden und Signale von dort empfangen, ist das Claustrum wechselseitig mit nahezu allen anderen Rindenregionen verknüpft. Die Stromlinienform seiner Struktur und Funktion dürfte dafür sorgen, dass die Neuronen des Claustrums angesichts von Informationswellen, welche die Struktur passieren, besonders empfindlich auf den zeitlichen Ablauf des Inputs reagieren.
    Was hat das alles mit dem Bewusstsein zu tun? Statt sich auf pedantische philosophische Fragen zu konzentrieren, gingen Crick und Koch von ihrer eigenen, naiven Intuition

Weitere Kostenlose Bücher