Wie funktioniert die Welt?
Supernovae, Asteroideneinschläge, Supervulkane und Eiszeiten verwüsten Ökosysteme und bereiten biologischen Arten ein Ende. Epidemien, Schlaganfälle, Schläge mit stumpfen Gegenständen, Schäden durch Oxidation, Quervernetzung von Proteinen, durch thermische Bewegungen durcheinandergebrachte DNA – das alles sind zufällige Bewegungen weg von jener streng organisierten Menge von Zuständen, die wir so schätzen, und hin zu zunehmender Unordnung. Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik beinhaltet die Erkenntnis, dass physikalische Systeme wahrscheinlichere Zustände anstreben, und mit ihrer blinden Schussfahrt in Richtung der größtmöglichen Unordnung bewegen sie sich weg von weniger wahrscheinlichen (höher organisierten) Zuständen.
Das Problem liegt also in der Entropie: Wie vertragen sich Lebewesen überhaupt mit einer physikalischen Welt, die von Entropie beherrscht wird, und wie kann natürliche Selektion angesichts der Entropie auf lange Sicht in den Lebewesen für die Vermehrung einer funktionstragenden Organisation sorgen? Lebewesen fallen als ungewöhnliche Abweichung vom physikalischen Normalzustand auf (der sich beispielsweise im Metallkern der Erde, den Mondkratern oder dem Sonnenwind verkörpert). Eines unterscheidet sämtliche Lebewesen – von der Schlehe bis zur Erle und vom Reiher bis zum Fischotter – von allem anderen im Universum: In ihrer Konstruktion sind verblüffend unwahrscheinliche Systeme feinabgestimmter Wechselbeziehungen verwoben – eine hohe Ordnung, die höchst funktionstüchtig ist. Aber genau wie hochgeordnete physikalische Systeme, so sollten auch Lebewesen in der Regel schnell wieder in einen Zustand der größtmöglichen Unordnung oder maximalen Wahrscheinlichkeit zurückgleiten. Oder, wie der Physiker Erwin Schrödinger es formulierte: »Ein Organismus erscheint deswegen so rätselhaft, weil er sich dem raschen Verfall in einen unbewegten ›Gleichgewichtszustand‹ entzieht.« [28]
Die schnelle Antwort, mit der man Kreationisten in der Regel abspeisen kann, ist bis zu einem gewissen Grade richtig, aber bei weitem nicht vollständig: Die Erde ist kein geschlossenes System; Lebewesen sind keine geschlossenen Systeme, das heißt, die Entropie nimmt insgesamt (in Übereinstimmung mit dem Zweiten Hauptsatz der Thermodynamik) nach wie vor zu, während sie (manchmal) in einem Lebewesen lokal abnimmt. Das lässt das hohe Maß an Organisation, das man beim Lebendigen findet, zu, erklärt es aber nicht. Zur Erklärung der Ordnung in Lebewesen kann man aber (zu Recht) die natürliche Selektion heranziehen und mit ihr die Anpassungen, die für eine Verschiebung der Entropiezunahme sorgen und verhindern, dass wir sofort zu einer Aschewolke oxidieren.
Natürliche Selektion ist nach heutiger Kenntnis das einzige Gegengewicht zu der Neigung physikalischer Systeme, an funktionstragender Organisation nicht zu gewinnen, sondern zu verlieren – der einzige natürlich-physikalische Prozess, der Populationen von Lebewesen (manchmal) bergauf in Richtung eines höheren funktionellen Ordnungsniveaus treibt. Aber wie funktioniert das eigentlich im Einzelnen?
An dieser Stelle können wir neben Entropie und natürlicher Selektion die dritte aus unserem Trio der wahrhaft eleganten wissenschaftlichen Ideen auf das Problem anwenden: Galileis brillantes Konzept der Bezugsrahmen, mit dem er die physikalischen Vorgänge der Bewegung klärte.
Der Begriff der Entropie wurde ursprünglich für die Untersuchung von Wärme und Energie entwickelt, und wenn die thermodynamische Entropie der Energieverteilung die einzige Form echter Entropie wäre, könnte es uns (die Lebewesen) nicht geben. Mit Galileis Beitrag dagegen kann man mehrere Formen der Ordnung (unwahrscheinliche physikalische Anordnungen) betrachten, die jeweils in Hinblick auf einen ganz bestimmten Bezugsrahmen definiert sind.
Es kann so viele Arten von Entropie geben, wie es sinnvolle Bezugsrahmen gibt. Lebewesen sind als sich selbst verdoppelnde physikalische Systeme definiert. Damit haben wir einen Bezugsrahmen, der seine Art von Ordnung unter dem Gesichtspunkt der Kausalbeziehungen definiert, welche die Verdoppelung des Systems (das heißt nicht die thermodynamische, sondern die replikative Ordnung) begünstigen. Lebewesen müssen physikalisch so gestaltet sein, dass sie nichtverteilte Energie einfangen; wie ein Wasserkraftwerk, in dem stürzendes Wasser die Turbinen antreibt, so nutzen sie diesen thermodynamischen Entropiefluss
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