Wie funktioniert die Welt?
sich verteilen. Die Entsprechung zu den Gängen eines Autos ist dabei das Netzwerk der biochemischen Reaktionen in uns, und statt eines Haufens Backsteine, die zu einer Kathedrale geformt werden, verbinden sich Aminosäuren und bilden die raffinierte Struktur eines Proteins. Deshalb wachsen wir, wenn wir essen. Auch in uns wird das Chaos, das anderswo durch die Erzeugung von Unordnung entsteht, lokal verringert.
Ist es demnach allzu phantasievoll, wenn man sich vorstellt, dass auch intellektuelle Kreativität oder schlicht einfache, folgenlose Träumerei ähnliche Triebkräfte haben? In irgendeinem fiktiven gedanklichen Ruhezustand ist das Gehirn eine Ansammlung elektrischer und synaptischer Aktivität. Die Stoffwechselprozesse, die durch die Verdauung der Nahrung angetrieben werden, sorgen dann nicht dafür, dass Backsteine zu einer Kathedrale oder Aminosäuren zu Proteinen geordnet werden, sondern sie können auch in Konzepte, künstlerische Arbeit, törichte Entscheidungen oder wissenschaftliches Verständnis einfließen.
Sogar das andere große Prinzip, die natürliche Selektion, kann man als außerordentlich komplexe, netzförmigen Entfaltung der Welt betrachten: Veränderungen, die in der Biosphäre und ihrer Evolution stattfinden, werden letztlich vom Abstieg in die Unordnung angetrieben. Ist es da ein Wunder, dass ich den Zweiten Hauptsatz als große Erleuchtung betrachte? Dass aus einem so einfachen Prinzip derart große Folgerungen erwachsen, ist nach meiner Überzeugung ein Kriterium für die Großartigkeit eines wissenschaftlichen Prinzips. Und ich glaube, es gibt nichts Einfacheres als das Prinzip, dass die Dinge schlechter werden, und keine Folgen sind größer als das Universum sämtlicher Aktivitäten; dieses Gesetz ist also sicher das großartigste von allen.
Elizabeth Dunn
Warum fühlen wir uns unter Zeitdruck?
Sozialpsychologin, University of British Columbia
Kürzlich stand ich am Straßenrand, klaubte mir Kies aus dem Knie und fragte mich, wie ich dorthin gekommen war. Ich war mit dem Fahrrad von der Arbeit zum Fitnessstudio gefahren, wo ich eine Freundin treffen wollte, und hatte hektisch in die Pedale getreten, um die paar Minuten aufzuholen, die ich mich verspätet hatte. Ich wusste, dass ich zu schnell fuhr, und als ich um eine Kurve schlitterte und dabei über losen Kies fuhr, rutschte das Fahrrad unter mir weg. Wie hatte ich mich in diese Lage gebracht? Warum hatte ich es so eilig gehabt?
Ich glaubte die Antwort zu wissen. Das Tempo unseres Lebens nimmt zu; die Menschen arbeiten mehr und ruhen sich weniger aus als vor 50 Jahren – zumindest vermitteln uns die Massenmedien diesen Eindruck. Aber als Sozialpsychologin wollte ich die Daten sehen. Wie sich herausstellte, spricht kaum etwas dafür, dass die Menschen heute mehr arbeiten und sich weniger ausruhen als in früheren Jahrzehnten. Einige der besten Studien legen sogar die umgekehrte Vermutung nahe. Warum also erklären Menschen ständig, sie würden unter Zeitdruck stehen?
Eine schöne Erklärung für dieses rätselhafte Phänomen lieferten kürzlich Sanford DeVoe von der Universität Toronto und Jeffrey Pfeffer aus Stanford. Nach ihrer Ansicht wird Zeit als knappes Gut empfunden, weil ihr Geldwert immer weiter steigt. Knappheit und Wert werden als unzertrennliche Zwillinge wahrgenommen; wenn eine Ressource – von Diamanten bis zum Trinkwasser – knapp ist, ist sie auch wertvoller, und umgekehrt. Wenn unsere Zeit also immer wertvoller wird, stellt sich das Gefühl ein, als hätten wir weniger davon. Umfragen aus der ganzen Welt haben gezeigt, dass Menschen mit höherem Einkommen über stärkeren Zeitdruck berichten – dafür gibt es allerdings auch andere plausible Gründe, beispielsweise die Tatsache, dass wohlhabende Menschen häufig längere Arbeitszeiten und somit weniger Freizeit haben.
DeVoe und Pfeffer äußern jedoch die Vermutung, Gefühle von Zeitdruck würden sich schon dann einstellen, wenn jemand sich selbst als wohlhabend
wahrnimmt
. Sie stellten nicht nur rückblickende Korrelationsanalysen an, sondern überprüften diese kausale Erklärung auch mit kontrollierten Experimenten. [29] In einem davon sollten 128 Studienanfänger angeben, wie viel Geld sie insgesamt auf der Bank hätten. Alle Studierenden beantworteten die Frage anhand einer Skala von elf Punkten, bei der Hälfte der Versuchspersonen war diese Skala jedoch in Stufen von jeweils 50 Dollar eingeteilt, das heißt, sie reichte von »$ 0 -$
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