Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
Vom Netzwerk:
Generalmajor noch jenen Respekt, den ihm sonst niemand mehr zollt. Die einstigen Getreuen halten unverbrüchlich zu ihm.
    Als Geyer während der Leipziger Buchmesse 2008 seine Erinnerungen vorstellt und inmitten der etwa vierzig, fünfzig anwesenden alten Kumpel plötzlich ein einzelner anständiger Mann aufsteht und seine freie Meinung äußert, die Unterdrückung der Menschen sei in keinem anderen Land des Ostblocks, außer vielleicht durch die Securitate-Verbrecher in Rumänien, so schlimm gewesen wie die durch die Stasi in der DDR, wird er fast verprügelt.
Im wütenden Gebrüll der gestern Mächtigen und heute Ohnmächtigen geht die Antwort Geyers unter. Nicht etwa, dass man irgendetwas Wichtiges versäumt hätte, denn als es wieder ruhig ist, meint er nur, so etwas wie die Staatssicherheit habe es überall auf der Welt gegeben.
    In den »Maßnahmen zur Zersetzung« zur »Abwehr republikfeindlicher Elemente« und »Störenfriede« des MfS, die sich gegen alle missliebigen Bürger richteten, denen man strafrechtlich nichts Konkretes vorwerfen konnte, wird exakt beschrieben, auf welche Art und Weise man durch systematischen Psychoterror dennoch deren Leben wirksam zerstören könne: »Bewährte anzuwendende Formen der Zersetzung... die systematische Organisation beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens einzelner Personen... die Verwendung anonymer und pseudoanonymer Briefe, Telegramme, Telefonanrufe und kompromittierender Fotos z. B. von stattgefundenen oder vorgetäuschten Begegnungen... Diese Mittel und Methoden sind entsprechend den konkreten Bedingungen des jeweiligen Operativen Vorgangs schöpferisch und differenziert anzuwenden, auszubauen und weiterzuentwickeln.«
    Der Verdacht, dass zu den angewendeten bewährten Formen auch die in der UdSSR viele Jahre lang praktizierte Zwangspsychiatrisierung gehören könnte, der Missbrauch der Psychiatrie durch den Geheimdienst, liegt nah. Immerhin gab es an der Hochschule des MfS in Potsdam sogar einen Lehrstuhl für »Operative Psychologie«.Wurden etwa wie in Moskau Dissidenten mit gefälschten Diagnosen von der Stasi in DDR-Anstalten eingeliefert und mit Medikamenten ruhig gestellt? Gab es Hirnoperationen, Strahlenkastrationen? Ein Horrorszenario. Aber da vieles in der DDR unglaublich klang wie zum Beispiel die beim MfS archivierten Einweckgläser mit Geruchsproben der auffällig gewordenen Bürgerrechtler, schien auch so eine furchtbare Vorstellung von willenlos gemachten Zombies in ostdeutschen Kuckucksnestern durchaus nicht mehr abwegig.
    Im Gespräch mit dem Medizinhistoriker Dr. Holger Steinberg,
der im Archiv für Leipziger Psychiatriegeschichte des Universitätsklinikums arbeitet, geht es also um den Verdacht, ob es denn in der DDR üblich gewesen sein könnte, dass missliebige Kritiker des Systems unter falschen Diagnosen in psychiatrische Anstalten gesperrt wurden. Ich kenne zwar den Fall des ehemaligen sächsischen Innenministers Heinz Eggert, lange Zeit als Nachfolger des »König Kurt« genannten Ministerpräsidenten Biedenkopf gehandelt. Gegen den damaligen aufmüpfigen, systemkritischen Studentenpfarrer waren 1982, wie Eggert 1990 aus seinen Stasi-Akten erfuhr, »operative Maßnahmen im Zuge eines Zersetzungsprozesses« eingeleitet worden. Auf Deutsch: Die Staatssicherheit hatte beschlossen, ihn und seine Familie durch Psychoterror fertigzumachen.
    Aber nach genauer Recherche hatte sich die Aufregung gelegt, weil es zwar stimmte, dass die Stasi ihre Spitzel auf Eggert angesetzt hatte, sich jedoch herausstellte, dass er wegen schwerer Depressionen und nicht aus politischen Gründen in die Psychiatrie eingeliefert worden war, dass ein ihn behandelnder Arzt nicht etwa im Solde der Stasi stand, sondern im Gegenteil wegen »staatsfeindlicher Umtriebe« sogar mal selber achtzehn Monate im Gefängnis saß. Der Klinikchef bekannte zwar, unter dem Decknamen »Manfred« viele Jahre für das MfS gearbeitet zu haben, dessen Ansinnen, den erkrankten Pfarrer Eggert während des Aufenthalts in der Männerpsychiatrie Großschweidnitz auszuhorchen, aber abgelehnt habe. Eggert selbst gab zu Protokoll, etwas voreilig geurteilt zu haben, und dass die Geschichte, hier der »Held im Talar und dort das Ungeheuer im weißen Kittel«, so nicht stimme.
    Holger Steinberg bestätigte zwar, dass viele Ärzte, und nicht nur in der Psychiatrie, ihre Schweigepflicht gebrochen und als IM ihre Patienten verraten haben. Eine Fallstudie des

Weitere Kostenlose Bücher