Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
Dienstvorschriften der Nationalen Volksarmee. Von insgesamt 377 Generälen und Admiralen der NVA und der Grenztruppen bis zum Ende der DDR dienten 54 bereits als höhere Offiziere in Hitlers Wehrmacht, einer sogar als General.
Und dass die Staatssicherheit in vielen Jahren ein »NS-Archiv« aufbaute und dort rund 800 000 Einzelakten anlegte, hat zwar damit zu tun, möglichst viele Nazis wirksam an den Pranger zu stellen, die in der Bundesrepublik bereits wieder in Amt und Würden und wegen ihrer braunen Vergangenheit nie belangt worden waren. Denn das mehrte den Ruf der DDR als antifaschistischer und moralisch besserer deutscher Staat. Man gebrauchte die Nazis aber auch für eigene Zwecke. KZ-Mörder oder Verantwortliche für Massenerschießungen von Juden und Partisanen wurden vor Gericht gestellt und verurteilt. Andere wiederum, deren man leicht hätte habhaft werden können, weil sie im Überwachungsstaat DDR lebten, wurden zu Spitzeldiensten im Inland erpresst oder als Agenten im Westen eingesetzt. Diese klassischen Fälle von Doppelmoral kamen erst nach dem Umbruch heraus.
Heute liegen die Akten im Bundesarchiv.Was man immer vermutet hat, weil es Nazis schließlich nicht nur im Westen gegeben haben konnte, ist dort dokumentiert. Die historischen Fakten widersprechen dem Mythos vom antifaschistischen, dem besseren Deutschland. »Den Mut, die DDR-Gesellschaft als Erbe der Untaten des Dritten Reiches zu akzeptieren, als eine Gesellschaft, in der es ebenso wie im Westen viele Mitläufer und einige Täter
gab, brachte die SED nie auf«, stellt Henry Leide, der als Mitarbeiter der Birthler-Behörde begann, systematisch die geheime Vergangenheitspolitik der DDR zu erforschen, in seiner Untersuchung »NS-Verbrecher und Staatssicherheit« in einem kühlen Fazit fest. Beweisbar sei, »dass das MfS systematisch und wissentlich NS-Täter bis hin zu Massenmördern als Informanten und Agenten in Ost und West rekrutierte und sie zugleich vor strafrechtlichen Ermittlungen und dem gerechten Urteil unabhängiger Gerichte bewahrte«. Das scheint übertrieben, denn bei der Stasi gab es nun wirklich keine personelle Kontinuität zur NS-Zeit, die mit der im BKA, beim BND oder im Auswärtigen Amt vergleichbar wäre.
Weil öffentlich, außer den üblichen Beschimpfungen der westdeutschen Imperialisten und Kriegstreiber als unverbesserliche Nazis, keine Aufarbeitung dieser ja auch deutschen Vergangenheit stattfand, konnten sich »Millionen Deutsche in der DDR aus dieser Verantwortung flüchten und sich einem neuen Kommandosystem willig unterwerfen, das ihnen bei vielfach bekannten Methoden, wie sie der Stalinismus im Repertoire hatte, Absolution verhieß, wenn sie sich der neuen Ordnung verschrieben«, ergänzt der ostdeutsche Historiker Olaf Groehler in seinem kritischen Rückblick auf die DDR. »Gefragt war nicht, wie weit man sich vom Nationalsozialismus und seiner Ideologie tatsächlich gelöst hatte, sondern vielmehr das Gelöbnis zur neuen Ordnung, das durch Taten zu beweisen war.«
In anderen Worten: Vieles von dem, was sie gläubig »Heil Hitler« rufend begrüßt hatten und kannten, fanden die Ostdeutschen wieder in der nächsten Diktatur. Nur die Farben hatten sich geändert. In die Bundesrepublik wurde die Demokratie nach dem Krieg zwar bereits von den Alliierten mitgebracht, aber die eigentliche Abrechnung mit der braunen Vergangenheit fand mehr und mehr erst in den Sechzigern statt, also mehr als zwanzig Jahre nach der Befreiung. Erst daraus erwuchs eine Zivilgesellschaft West – angestoßen durch die polizeiliche Nacht-und-Nebel-Aktion gegen den »Spiegel«, die fatal an Nazimethoden
erinnerte, und die Inhaftierung seines Herausgebers Rudolf Augstein im Jahre 1962. In dem »Abgrund von Landesverrat«, der sich im »Spiegel« angeblich aufgetan hatte, versank langsam, aber unaufhaltsam, nach den Demonstrationen aufgewachter Bürger und dem Rücktritt des verantwortlichern Ministers Franz Josef Strauß, der alte Obrigkeitsstaat. Aus der Adenauer’schen Demokratur wurde eine kämpferische Demokratie.
Gemeinhin wurde bis zu den westdeutschen Studentendemonstrationen 1968, als sich eine nachgeborene Generation von ihren Vätern befreite, der Umgang der DDR mit den Verbrechen der Nazis als vorbildlich betrachtet. Die Versorgung westdeutscher Medien mit Details über Nazis, belegt durch ein Braunbuch, in dem viele führende Persönlichkeiten der Bundesrepublik samt NSDAP-Mitgliedsnummer und Dienstrang in der SS
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