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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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90 Prozent des Kollektivs als ständige Leser gewinnen« – oder jener, die ich in einem meiner ständigen Reisebegleiter entdeckte, der »DDR-Geschichte in Dokumenten«,
einem wahren Quell der Freude, gespickt mit zahlreichen spracharmen Beispielen aus dem Alltag des real existierenden Sozialismus deutscher Nation: »Gemeinsam mit unseren Ehegatten werden wir interessante Aufführungen des Volkstheaters... besuchen und dahingehend wirken, daß zehn Kollegen unseres Kollektivs ein festes Theater-Anrecht abschließen.«
    Jugendliche Menschengemeinschaften wurden, als sie mit Gleichaltrigen aus der SSR friedlich gemeinsame Sache machen wollten, weil sie betört waren vom Duft der Freiheit, von den uniformierten Menschengemeinschaften der DDR rücksichtslos gejagt. Erst recht, weil in den westdeutschen Medien, von links bis konservativ, mit großer Sympathie der Aufstand von Prag begleitet und in ohnmächtiger Trauer dann sein blutiges Ende kommentiert wurde. Das MfS notierte in der DDR zwischen dem 21. August und dem 4. September 1968 insgesamt 1075 Protestaktionen, 468 jugendliche Täter werden festgenommen. Der Schriftsteller Franz Fühmann bekundete im eigenen Namen – denn die meisten seiner in der Akademie der Künste versammelten Kollegen hielten lieber den Mund oder solidarisierten sich ranschleimend mit der DDR-Staatsführung, – bei einem Kondolenzbesuch in der tschechoslowakischen Botschaft in Ostberlin seine Empörung über die Schlacht gegen das Volk in Prag und sorgte auch dafür, dass sich sein Protest herumsprach unter Dichtern und Denkern.
    Erich Mielke war dennoch nicht so sicher, ob er weiterhin leichtes Spiel haben würde mit feingeistigen Feiglingen und beschloss eine verstärkte Beobachtung und Bearbeitung in einer neuen Einheit der Hauptabteilung XX. Die hieß HA XX/7 und war fortan zuständig für »Kultur und Massenkommunikations mittel«.Auch diese Maßnahme der Kontrolle gehört zur ostdeutschen Chiffre 1968. Damit die Künstler im Klassenkampf immer auf der einzig richtigen Seite standen und jedes Abweichen vom vorgeschriebenen Weg gemeldet würde, forderte der Stasi-Chef bereits am 25. August in einem seiner unsäglichen Rundschreiben alle Diensteinheiten des MfS auf, innerhalb der »nächsten vier Tage von allen (!) Redakteuren, Reportern, Kommentatoren,
Sprechern, Studiotechnikern, Conferenciers, Regisseuren, Dramaturgen, Theaterautoren, Stadt- und Betriebsfunkredakteuren, Schriftstellern, Grafikern, Malern, Bildhauern, Schauspielern und Sängern Auskunftsberichte« zu erstellen. Marianne Birthler: »Nur wenige Menschen in der DDR protestierten. Die es wagten, bekamen den langen Arm der Staatssicherheit zu spüren.«
    Listig die gemeinte Wahrheit zu sagen half nichts. Sogar Verweise auf Brecht oder Lenin, bei denen es sich, politisch wie kulturell, um über jeden Verdacht der Konterrevolution erhabene Kommunisten handelte, schützten nicht vor Strafe. Ein junger Mann hatte in Halle Flugblätter mit einem Lenin-Zitat verteilt: Falls einer Nation mit Gewalt entgegen »ihrem zum Ausdruck gebrachten Wunsch«, selbst über ihr Schicksal zu entscheiden, dieses Recht vorenthalten wird, sei dies eine »Eroberung und Vergewaltigung«.
    Das Lenin’sche Dekret über den Frieden stammt aus dem Jahre 1917. Der es verteilte, wurde 1968 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, die er bis zum letzten Tag absitzen musste. Ein Siebzehnjähriger rezitierte bei einem privaten Literaturabend folgendes Gedicht von Brecht: »Am Grunde der Moldau wandern die Steine / Es liegen drei Kaiser begraben in Prag / Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine / Die Nacht hat zwölf Stunden, da kommt schon der Tag / Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne / die Mächtigen kommen am Ende zu Halt / und gehen sie einher auch wie blutige Hähne / es wechseln die Zeiten, da hilft kein’ Gewalt.« Unter den Zuhörern saß einer von der Stasi, der das Gehörte weitergab. Das Urteil gegen den Schüler: 27 Monate Haft, von denen ihm acht erlassen wurden.
    Thomas Brasch, Sohn des stellvertretenden Ministers für Kultur, Horst Brasch, damals 22 Jahre alt, gerade Vater geworden, Student an der Filmhochschule, fällt schon lange auf wegen frecher Reden. Seit Anfang Juli kümmert sich die Stasi intensiv um ihn, nachdem zuvor sein Vater über die Aktivitäten des Aufmüpfigen informiert worden ist. Der linientreue Erzeuger hat aber keinen Einfluss mehr auf seinen verlorenen Sohn. Dessen Jahresabschlussarbeit über

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