Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
auffiel, war die ohnmächtige Wut der Leute über einen Straßenerschließungsplan des
Berliner Bausenators, der zu jener Partei gehörte, für die Czaja antrat. Der sowohl von sich als auch von den Protesten überzeugte David Ost nahm den Kampf gegen den CDU-Goliath West auf. »Als ich zu einer Bürgerversammlung einlud, wo es um diese Straßenerschließung ging und ich gut vorbereitet ein günstigeres Modell vorlegen konnte zum bereits verkündeten Plan, der mit hohen Kosten für alle Anlieger verbunden war, die an dieser Straße ein Grundstück oder ein Häuschen besaßen, hatte ich auch PDS-Wähler auf meiner Seite. Ich konnte die allein schon deshalb von meinen festen Absichten überzeugen, weil ich mich in dieser Sache ja gegen meine eigene Partei querstellte.«
Es gelang ihm, den Plan zu kippen.
Das zahlte sich aus: 37,4 Prozent der Erststimmen entfielen auf den speziellen Christdemokraten Czaja, nur 13,1 Prozent der Zweitstimmen auf die CDU. Sie würden für ihn votieren, hatten ihm die Kaulsdorf-Mahlsdorfer bei seinen Hausbesuchen versprochen, obwohl er für die CDU antrete. Und so wie er sein Versprechen gehalten hatte, den Erschließungsplan zu beerdigen, hielten sie das ihre und wählten den Jungen. Bei der konstituierenden Sitzung der CDU-Fraktion im Berliner Rathaus, damals mit 75 Abgeordneten noch so stark, dass die vor Kraft kaum laufen konnten, geschweige denn aufhörten zu kungeln, forderte der noch nicht beim Kungeln mit der Landesbank aufgefallene Fraktionschef Klaus-Rüdiger Landowsky den jungen Mann aus dem ihm fernen Berliner Osten auf, sich zu erheben, und riet dann den wenigen anderen Ostlern, sich diesen erst 24-jährigen Typen als Vorbild zu nehmen. Der habe gezeigt, wie man es mache, auch dort, wo man eigentlich keine Chance habe.Womit Czaja bei anderen CDU-Ossis schon mal unten durch war.
Dennoch blieb er unbeeindruckt bei seiner Taktik, die Wodrückt-euch-der-Schuh-Methoden der PDS, selbstverständlich mit anderen Zielen unterfüttert, im Nahkampf vor Ort einzusetzen. Denn da zählt für die CDU jede Stimme. Insgesamt gibt es zwar rund eine Million stimmberechtigter Bürger in Ostberlin. Von denen haben bei der Wahl 2006, als die Christlichen so richtig
einbrachen, aber nur noch sechzigtausend bei ihr ein Kreuz gemacht. Davon wie zuvor 2001 und 1999 rund siebentausend Wähler beim Kandidaten Mario Czaja. In 34 Wahlkreise ist das weite Feld Ostberlin aufgeteilt, in den anderen 33 holte die CDU 53 000 Stimmen zusammen.
Er kann stolz auf sich sein, und er ist es auch. Mario Czaja gehört zu den Profiteuren der Einheit. Bei den jungen Deutschen seiner Generation hat die Einheit eh längst gewonnen. Allerdings ist bei den Jungen Ost ein anderer ziemlich hoher Wert prozentual identisch mit dem der Alten Ost. Beide Generationen stimmen mehrheitlich der Aussage zu, dass sich die Westdeutschen nicht darum bemüht hätten, sie zu würdigen, so wie sie es verdienten.
Dieses Gefühl der Missachtung vereint unabhängig vom Alter mehr als sechzig Prozent der Deutschen Ost gegen die Deutschen West.Trotz ihrer biografischen Brüche nach dem Umbruch, trotz der Schwierigkeiten, sich unter den ungewohnten neuen Verhältnissen behaupten zu müssen, hätten sie es geschafft, einigermaßen anständig zu überleben. Ihr anderes Leben davor in der ehemaligen DDR werde erst recht nicht anerkannt, allenfalls würden sie wie seltene Insekten unterm Mikroskop betrachtet, werde geprüft und sortiert: Stasi oder nicht Stasi, SED oder nicht SED,Täter oder Opfer.
Auf gut Deutsch: Die Wessis interessieren sich nicht wirklich für uns.
Da ist zwar was dran, aber das ist nicht bös gemeint, denn auch untereinander interessieren sich Wessis kaum füreinander. Czaja setzt deshalb bewusst die eigene Biografie ein, um sich von seinen westlichen Parteifreunden abzusetzen, die sich mit Ost-Biografien nicht weiter beschäftigen. Die hüben – was für ihn in dem Fall drüben ist – würden den »Eindruck vermitteln, der dann entsprechende Folgen hat in den Wahlkabinen, dass die Lebensleistungen der Menschen in der ehemaligen DDR wenig bis gar keinen Wert haben«.
Dieses Urteil widerspricht dennoch nicht seiner Überzeugung,
die CDU habe maßgeblich die deutsche Einheit betrieben. Damals ging es ums ganze Vaterland und das Versprechen von Helmut Kohl, bald werde der Osten aufblühen, was natürlich bei den Bewohnern dieser ausgetrockneten Landschaften gut ankam. Als Czaja 1999 zum ersten Mal bei der Berliner Wahl
Weitere Kostenlose Bücher