Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
verfasst von Experten, die als kundig gelten durften, weil sie mit verantwortlich waren für die Lage der Nation, die sie jetzt schonungslos schilderten: Gerhard Schürer, Chef der Staatlichen Planungskommission, Außenhandelsminister Gerhard Beil, Alexander Schalck-Golodkowski, Chef der Kommerziellen Koordinierung (KoKo), Finanzminister Ernst Höfner sowie Arno Donda von der Zentralverwaltung für Statistik. Für die drei wesentlichen Wahrheiten hätte man als Überschrift auch »Lasst fahren alle Hoffnung« wählen können. Das Regime ist im Herbst 1989 nicht nur moralisch, sondern auch wirtschaftlich am Ende, die realistische Analyse der fünf DDR-Weisen ist so hoffnungslos, dass in der real existierenden Wirtschaft des Westens ein Insolvenzantrag die zwingende Folge wäre:
»1.Im internationalen Vergleich der Arbeitsproduktivität liegt die DDR gegenwärtig um 40 Prozent hinter der BRD zurück.
2.Die Verschuldung im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet (NSW) ist gegenwärtig auf eine Höhe gestiegen, die die Zahlungsfähigkeit der DDR in Frage stellt, es wurde mehr verbraucht als aus eigener Produktion erwirtschaftet wurde zu Lasten der Verschuldung im NSW, die sich von zwei Milliarden Valutamark 1970 auf 49 Milliarden Valutamark 1989 erhöht hat.
3.Allein ein Stoppen der Verschuldung würde im Jahr 1990 eine Senkung des Lebensstandards um 25-30 Prozent erfordern und die DDR unregierbar machen.«
Angesichts dieser Zahlen sind allgemeine Klagen über heutige Zustände im vereinten Deutschland, so begründet sie in vielen Fällen auch sind, Jammern auf einem Niveau, das die DDR niemals erreichte und niemals erreicht hätte.
Das Geheimpapier kennt auch Honeckers Nachfolger als Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender, doch statt sich der Wirklichkeit zu beugen und den DDR-Bürgern die Wahrheit zu sagen, möglicherweise sogar verbunden mit der Bitte, ihm eine
Chance zu geben, erklärte Egon Krenz, er und seine Genossen von der SED müssten zwar in Zukunft »unsere führende Rolle besser wahrnehmen, aber wir sind nicht bereit, sie abzugeben«.
Da gab ihn dasVolk auf und zeigte ihm die rote Karte. Die Menschen mochten sein Gesicht nicht mehr sehen, seine Worthülsen nicht mehr ertragen, seinen Ankündigungen nicht mehr trauen. Vier Tage vor der ersten Runde im Bonhoeffer-Haus begann die Abschiedsvorstellung. Zunächst als Generalsekretär, dann in der Rolle des Staatsratsvorsitzenden. Niemand verlangte Zugaben bei seinen Auftritten. Auch über dem ihn umgebenden reaktionären Männerbund fiel der letzte Vorhang. Das Zentralkomitee der Partei löste sich auf, das Politbüro folgte dem Beispiel, doch was bei solchen Ereignissen formal zu beachten ist, wussten sie alle nicht.Woher auch? Spielregeln der Demokratie brauchte man in der Diktatur nie.Typisch deshalb das Gestammel des da noch amtierenden Generalsekretärs: »Genossen, ich stehe jetzt auch vor einer Frage, auf die ich keine Antwort habe. Das ZK hat sich aufgelöst... Jetzt müsste der Arbeitsausschuß tätig sein. Oder wie ist das?«
Egal. Das interessiert niemanden mehr. Egon Krenz hat ab 6. Dezember 1989 seine Zukunft hinter sich. Seinen nächsten grö ßeren Auftritt, bei dem er allerdings Antworten geben muss und keine Fragen mehr stellen darf, wird er am Runden Tisch haben.
Mächtigster Mann der DDR ist jetzt der ehemalige Bezirkssekretär aus Dresden, Hans Modrow. Er regiert in einer Koalition der von ihm Berufenen aus SED und Blockparteien und versucht, das Chaos zu verwalten, schleppt dabei wie der legendäre Sisyphos täglich aufs Neue Steine nach oben auf den Berg, die ihm nachts wieder vor die Füße rollen. Denn nach wie vor wird auf den Straßen demonstriert für immer mehr Freiheit. Die soll grenzenlos sein. Eine wesentliche politische Forderung lautet, aus der Verfassung das Alleinvertretungsrecht der SED zu löschen, am besten gleich die ganze verfluchte Partei aufzulösen. Darauf wird das Volk nicht mehr lange warten müssen, das machen die Genossen dann selbst, schon allein deshalb, um ihr als Partei angesammeltes Vermögen vor einem Zugriff des Staates zu retten, mit
dem sie seit 1949 eins waren. Sie löschen den Namen SED aus dem Register und nennen ihren Verein SED-PDS.
Alter Wein in neuen Schläuchen? So mag man es sehen. So sahen es viele. Immerhin aber saßen den Bürgerrechtlern deshalb am Runden Tisch nicht mehr die kommunistischen Reaktionäre Krenz und Co. gegenüber, sondern Gregor Gysi und sein Stellvertreter
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