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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Wolfgang Berghofer, Pragmatiker ohne Illusionen statt Ideologen ohne Bodenhaftung.
    Mit geheuchelter Dialogbereitschaft hatte das Politbüro nach dem zufälligen Mauerfall versucht, doch noch Einfluss auf die revolutionären Entwicklungen im Land zu gewinnen. Einer der Rettungsversuche war die Einrichtung des Runden Tisches. Das roch nach Einsicht, klang nach Akzeptanz öffentlicher Demokratie. Volkskammer und Regierung besaßen beide keine demokratische Legitimation. Zu Tisch bitten allerdings wollte die Partei, um jederzeit Kontrolle über Speisen und Getränke, Gäste und Gespräche zu behalten. Ein für sie unverbindliches Diskussionsforum wünschten sich die Politbürokraten. Laut Protokoll vom 28. November 1989 müsse vor allem verhindert werden, dass die »Opposition ein faktisches Mitspracherecht in allen Belangen der gesellschaftlichen Entwicklung« bekommt.
    Hatte die aber längst. Und fünf Tage nach diesem letzten Versuch, sich noch ein Zipfelchen Macht zu sichern, gab es auch das Politbüro nicht mehr. Nach wie vor aber befanden sich die Vertreter der Blockparteien unter dem Dach der Nationalen Front, saßen die SED-Genossen in der Volkskammer, gab es die Funktionäre der Massenorganisationen wie des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds, FDGB. Auch diese Gastgeber wurden von den Bürgerrechtlern abgelehnt. Sie und nicht die Altkader hatten die Idee zum Runden Tisch gehabt, um das Land aus der Krise zu führen, das sie als ihr Land betrachteten und nicht als das der anderen, und sie und nicht die anderen stellten die Bedingungen. Die Kirchen, unter deren Dächer sie sich in der Vergangenheit hatten flüchten können, die ihnen Schutz gewährten vor Stasi und Polizei, sollten sowohl sie als auch die anderen einladen. Pastoren
und Pfarrer sind Vertreter eines Höheren. Die Opposition von der Straße und die, gegen die sie auf die Straße gegangen war und noch immer täglich ging, wollten unter neutraler Leitung gemeinsam versuchen, Ordnung zu schaffen, eine demokratische diesmal.
    Die Opposition bestand auf Gleichberechtigung. Das gefiel der SED nicht, aber nachdem am 3. Dezember auch ihre Alleinvertretungsansprüche aus der Verfassung getilgt worden waren, gab sie sich geschlagen. Vorerst. Änderte die Taktik in der Annahme, bei passender Gelegenheit mit diesen Amateuren leichtes Spiel zu haben. Die nächste Täuschung. Denn die Diskussionen am Zentralen Runden Tisch, der Nachahmer fand in vielen Runden Tischen in vielen Städten, werden live in Rundfunk und Fernsehen übertragen, sind spannender als jeder Krimi und haben ein Millionenpublikum. Es ist eine Vorschule der Demokratie, und die Kinder der Revolution hören gebannt zu.
    Den Saal im Dietrich-Bonhoeffer-Haus hat die Brüdergemeine nur für diese Auftaktrunde zur Verfügung gestellt. Die soll vier, fünf Stunden dauern, wird sich tatsächlich jedoch hinziehen bis in die frühen Morgenstunden des nächsten Tages. Am Anfang war das Wort, wie es sich an einem solchen Ort geziemt. In wenigen leidenschaftslosen Zeilen, in denen es vor allem um die Rettung ihres Staates geht, werden nach leidenschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen alten und neuen Kräften Anspruch und Ziele verkündet: »Die Teilnehmer des Runden Tisches treffen sich aus tiefer Sorge um unser in eine tiefe Krise geratenes Land, seine Eigenständigkeit und seine dauerhafte Entwicklung. Sie fordern die Offenlegung der ökologischen, wirtschaftlichen und finanziellen Situation in unserem Land. Obwohl der Runde Tisch keine parlamentarische oder Regierungsfunktion ausüben kann, will er sich mit Vorschlägen zur Überwindung der Krise an die Öffentlichkeit wenden. Er fordert von der Volkskammer und der Regierung, rechtzeitig vor wichtigen rechts-, wirtschafts- und finanzpolitischen Entscheidungen informiert und einbezogen zu werden. Er versteht sich als Bestandteil der öffentlichen Kontrolle
in unserem Land. Geplant ist, seine Tätigkeit bis zur Durchführung freier, demokratischer und geheimer Wahlen fortzusetzen.«
    Als das Portal endlich aufgeschlossen wird, geht es im Bonhoeffer-Haus mit Lärm und Chaos weiter wie zuvor auf der Straße. Fernsehteams, Fotografen, Journalisten, insgesamt etwa zweihundert, fragen nicht um Erlaubnis,machen ein befugtes Gesicht und gehören dazu. Es sind bereits alle Stühle besetzt, als gegen 13.30 Uhr Oberkirchenrat Martin Ziegler eintrifft, der die erste Sitzung des Runden Tisches eröffnen soll. Aber der Zugang zum Saal ist blockiert, er muss sich

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