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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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entschied 2005, dass Stolpe nicht als ehemaliger Stasi-Mann bezeichnet werden darf, weil dies seine Persönlichkeitsrechte verletze und nicht gedeckt sei vom Grundrecht der Meinungsfreiheit.
    Lothar de Maizière, der am 17. November 1989 in die Regierung Modrow eintrat, forderte bereits einen Tag später im Ministerium seine Stasi-Akte an, weil er sich kundig machen wollte. »Mir wurde mitgeteilt, dass sie nicht aufzufinden sei, wahrscheinlich vernichtet wurde.« Gerüchte, die ein Jahr später aufkamen, er sei als IM »Czerni« aktiv gewesen, konnten nie erhärtet werden. Die Behauptung, der Deckname Czerni war von ihm selbst gewählt, weil er als Musiker den Komponisten gleichen Namens kannte, was man von seinem Führungsoffizier nicht annahm, lässt sich ebenso umdrehen und zu seinen Gunsten verwenden. Wer, wenn nicht der gebildete Humanist, hätte im Falle einer Verpflichtung auf der richtigen Schreibweise bestanden – Czerny?
    Konsistorialpräsident Manfred Stolpe attestierte handschriftlich am 30. März 1990 dem Wahlsieger: »Sehr geehrter Herr de Maizière! Aufgrund Ihrer Anfrage vom heutigen Tage habe ich heute gegen 17 Uhr in Gegenwart von Staatsanwalt Hofmann, dem Koordinator Auflösung Schröter, dem Vertreter des Bürgerkomitees Töpfer, Rechtsanwalt Dr. Gysi und zwei Archivmitarbeitern im Gebäude des ehem. MfS die Findkartei 16 durchgesehen und keine Karte Lothar de Maizière 020340430237 gefunden. Vorsorglich habe ich auch mögliche Falschschreibungen geprüft. Nach Auskunft der mit der Auflösung befassten Personen und des Staatsanwaltes ergibt sich daraus, dass es Vorgänge über Sie im Bereich des ehem. MfS nicht gibt. Manfred Stolpe.«
    Gregor Gysi, der am selben Tag Stolpes Bericht von der Überprüfung in einem Schreiben an Lothar de Maizière bestätigt, war einer der wenigen freien Anwälte der DDR, im Sinne von »frei in der Wahl seiner Klienten«. Er verteidigte deshalb auch Systemkritiker
und Ausreisewillige. Er musste sich mit Vertretern der Staatsmacht, ob nun SED oder Staatssicherheit, treffen, und zwar »im Interesse und mit Wissen meiner Mandanten«. Gegen die Behauptung, er habe sich als IM »Notar« an die Stasi binden lassen, Informationen weitergegeben und so mitgeholfen, die Opposition zu unterdrücken, setzte er sich 1998 vor dem Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestages, dem er als Abgeordneter der PDS angehörte, vehement zur Wehr: »Ich habe zu keinem Zeitpunkt inoffiziell mit dem MfS zusammengearbeitet.« Im selben Jahr entschied das Landgericht Hamburg, er dürfe weder als Stasi-Spitzel noch als IM »Notar« bezeichnet werden, weil es dafür trotz eines 400-seitigen Gutachtens der Gauck-Behörde, von einem deutschen Oberverwaltungsgericht ausdrücklich gelobt wegen seriöser Darstellung, keine stichhaltigen Beweise geben würde.
    Mandanten stellten sich mit schriftlichen Erklärungen hinter ihn. Systemkritiker Rudolf Bahro, der 1978 zu acht Jahren Haft in Bautzen verurteilt wurde und ein Jahr später aufgrund der weltweiten Proteste in den Westen abgeschoben wurde: »Die Vermutungen, Gysi habe mir Schaden zugefügt, sind unzutreffend.« Er habe im Gegenteil vor Gericht »für mich uneingeschränkt Freispruch verlangt« und nach dem Urteilsspruch sein Bestes getan, »mir die Haftzeit zu verkürzen, übrigens auch die Haftbedingungen zu erleichtern«.
    Alle Kinder des Dissidenten Robert Havemann, sowohl Florian als auch Ulrich, Frank und Sibylle, betonen, ihr Vater habe zwar »Dr. Gregor Gysi sicher nicht für einen politisch Gleichgesinnten gehalten und... ihm sicher nur das anvertraut, was er selbst für geeignet hielt, was in seine Strategie gegenüber dem Stasi-Apparat passte – wobei man sich immer klarmachen muss, dass unser Vater die Stasi im Haus hatte mittels ihrer Abhörgeräte, und das auch wusste« -, dass er aber weder von dessen Engagement für ihn enttäuscht war, noch sich von ihm persönlich »getäuscht gefühlt hat. Bis zu seinem Tode hat er die Dienste des Rechtsanwalts Dr. Gregor Gysi in Anspruch genommen.«
    Die im August 1968 verhaftete und später in den Westen übergesiedelte
Liedermacherin Bettina Wegner, im Wissen, »dass Gerüchte einen Menschen, den es betrifft, erschlagen können«, fand zwar in ihren Opferakten zwei Berichte eines IM »Notar«, aber keinen Beweis dafür, dass der mit Gysi identisch war, zudem »ich mich an etliche Gespräche und deren ungefähre Inhalte erinnerte, die sich nicht als Berichte in der Akte

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