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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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ist deshalb nicht als IM tätig geworden. Seinen Kontakt zum Ministerium für Staatssicherheit hat er bei verschiedenen Gelegenheiten, auch vor Beginn seiner Tätigkeit in der Behörde, öffentlich gemacht.«
    Den IM-Decknamen »Philosoph«, der ihm von Hubertus Knabe, dem Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen in seinem Buch »Die Täter sind unter uns« zugeordnet wird, »habe ich nie getragen, und er wurde mir von der Stasi niemals gegeben«. Das schrieb Richter empört auch an Knabe. Der will in der nächsten Auflage seines Bestsellers diesen Irrtum korrigieren.
    Die im Sommer 2007 aufschäumende politische Empörung über die Arbeit der Birthler-Behörde galt auch ihm. Ausgerechnet
in dem Amt, das sich – Jahresetat 2007 über 100 Millionen Euro, davon 77 732 000 Euro an Personalausgaben für die 2000 Mitarbeiter – mit der Stasi-Vergangenheit beschäftigt, das seit seiner Gründung 5,5 Millionen Anträge bearbeitet hat, bei dem Jahr für Jahr noch immer knapp 100 000 Anträge auf Akteneinsicht gestellt werden, sind 51 ehemalige Stasi-Leute beschäftigt. Als von der Behörde veröffentlicht wurde, dass keinesfalls fünfzig finstere Stasi-Agenten etwa damit beschäftigt waren, heimlich die Akten zu fälschen, um aus Tätern Opfer zu machen, sondern 32 bei der Sicherung des Hauses, einer als Haushandwerker, einer als Hausmeister, zwei als Kraftfahrer, einer als IT-Sachbearbeiter, drei als Bürosachbearbeiter und einer als Bote, legte sich die Erregung so schnell, wie sie entstanden war. Ohne solche Kenner des Apparats der Partei und des Staates wie Richter, den er hoch schätze, hätten sie unter den komplizierten Anfangsbedingungen ihre Arbeit nicht machen können, sagt Joachim Gauck.
    Der ehemalige Pfarrer ist einer der nachdenklichen Vordenker der Revolution: »Meinen linkeren Freunden war der Umbruch, die Kritik an der Parteidiktatur mehr als recht, sie waren Teil der Bewegung, die ihnen allerdings suspekt wurde, als die Mehrheiten für die Einheit waren. Ich gehörte zu den Realos. Alle anderen Aufstände in der deutschen Geschichte sind verglichen mit unserem Aufstand nichts. Es wird einmal ein leuchtendes Datum der deutschen Freiheitsgeschichte sein.« Die Fähigkeit, eigenverantwortlich einzugreifen in das unmittelbare politische Umfeld, sich zu wehren, wurde in der DDR nie trainiert, und dennoch habe es geklappt, als sich im Herbst 1989 das Volk entschlossen zu wehren begann. Gauck war nicht besoffen vor Freude, als die Mauer fiel, er hielt es zunächst für eine Falschmeldung, als nach einer Rede vor dem Rathaus seiner Heimatstadt Rostock zwei Volkspolizisten auf ihn zukamen und ihm mitteilten, sie hätten soeben aus dem Radio erfahren, dass die Grenzen offen seien, und ihn fragten, was er dazu sage. »Ich sagte, es kann sich nur um einen Irrtum handeln. Erst zu Hause, als ich den Fernseher anmachte, wusste ich, es stimmt. Es war ein Gefühl zwischen Glück und unheimlicher Leere.«
    Der einstige wachsame Träumer blieb Realist. Sein Bonmot von 1999 beschrieb im Abstand von zehn Jahren, was 1989/1990 in vielen Ossis vorging: »Wir träumten vom Paradies und wachten auf in Nordrhein-Westfalen«, und es erklärt noch heute, warum die Deutschen Ost noch immer das Gefühl haben, etwas Entscheidendes verloren zu haben in der Einheit.
    Ihre Identität?
    Nein, meint er, so einfach sei es wohl nicht. Eher erklärbar mit der Psyche von Menschen, die sich über Jahrzehnte nach Freiheit und Recht gesehnt haben. Eine Sehnsucht, die fern am Horizont dämmerte. Das Gefühl der Sehnsucht aber brauchten sie. »Doch wenn die plötzlich erfüllt wird, fehlt ihnen natürlich auch dieses tolle Gefühl. Ist wie beim ersten Verlieben. Mancher bekommt den ersehnten Partner, besitzt, was er lange ersehnte. Aber während der Ehe schrumpft das Außerordentliche des ersehnten Menschen auf menschliches Normalmaß. Mancher verkraftet das nicht, er sehnt sich nach der Sehnsucht.«
    Das habe ich von Richard Schröder so ähnlich gehört, erwidere ich, doch Gauck ist mit seiner Analyse noch nicht fertig: Viele hätten diesen Bruch zwischen Sehnsucht und Realität nicht ausgehalten. Es habe ja nie eine größere Verehrung des Westens und der Freiheit gegeben als zu der Zeit, da beides unerreichbar schien. Es sei doch ein gutes Leben in Nordrhein-Westfalen, aber nun, da die aus dem Osten angekommen seien, stünden wir plötzlich neben einem, der diese Sehnsucht nie kannte, weil er sich immer alles erfüllen konnte, dem

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