Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)
frei. Ich konnte ja nicht ahnen, dass die Stasi mich an dem Tag deshalb nicht verfolgte, weil sie in der Person Schnur neben mir saß.« Vor vier Jahren ist er ihm zufällig begegnet. Schnur streckte die Hand aus. Eppelmann sagte: »Bevor ich dir die Hand gebe, muss’ne Menge passieren.« Ist bisher aber nicht passiert.
Der christliche Rebell, Prediger im Namen des Herrn gegen
die Herren draußen vor der Kirche, Mitbegründer des Demokratischen Aufbruchs, Kämpfer am Runden Tisch, Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR, ab 1990 für die CDU im Bundestag, seit 2005 Vorsitzender der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, wofür man kaum einen Geeigneteren hätte finden können, verklärt sich nicht als Held und seine aufmüpfige Vergangenheit nicht als Heldenepos, weil »ich nicht weiß, ob ich das alles so gemacht hätte, was ich gemacht habe, falls ich gewusst hätte, dass die Stasi tatsächlich überlegte, mich auf unauffällige Art und Weise um die Ecke zu bringen«.
Er glaubte damals ja, es müsse Zufall sein, als er plötzlich das lockere Lenkrad seines Trabis in der Hand hielt. Gott sei Dank ging es glimpflich aus, was aber nicht nur dem lieben Gott zu verdanken war, sondern auch der sozialistischen Autoindustrie, deren Produkte nicht nur aus Pappe und Plaste bestanden, sondern auch nur über eine beschränkte Höchstgeschwindigkeit verfügten. Auch Berghofer ist überzeugt davon, dass Mordanschläge zum Programm der Staatssicherheit gehörten. Bis zum Schluss. »Als mir im Dezember am Rande des Sonderparteitages in Berlin nach einer scharfen Debatte über Schuld und Sühne der SED und des Apparats ein Oberst des MfS sagte, du wirst das so lange machen, Genosse, bis du einen Busunfall erleidest, war mir klar, ich muss schnell da weg.« Die Briefe, die er danach in seinem Briefkasten fand – Motto: du Arbeiterverräter, wir hängen dich auf – nahm er nicht mehr so ernst.
Lothar de Maizère hält es für eine »zutiefst deutsche Illusion«, dass man die Vergangenheit bewältigen könne. Das gilt auch für die der Ostdeutschen. Sein Freund Richard Schröder erzählt mir von aufrechten Mitstreitern, die inzwischen sauer reagieren, wenn DDR-Witze erzählt werden. »Wir haben uns den Staat zwar nicht ausgesucht, und ich verstehe überhaupt nicht, dass sich jemand nachträglich mit dem identifiziert, falls heute abträglich über ihn gesprochen wird. Aber von euch zu hören, ihr hattet den Staat, den ihr verdient, das möchten wir auch nicht hören.« Aber ob es gerecht sei, »dass wir die Westdeutschen nach unseren persönlichen
Erfahrungen mit ihnen beurteilen dürfen, während die bei uns Ostdeutschen immer erst in den Stasi-Akten nachsehen, was von uns zu halten ist«, wagt er in feiner Ironie zu bezweifeln. Der drüben geborene Westler Egon Bahr ist radikaler: »Wir haben es zugelassen, dass die DDR in den Augen der Westdeutschen reduziert wurde auf Stasi, nicht mal auf SED.«
Dass der Osten noch viel deutscher ist als der Westen, hat nicht nur zu tun mit DDR-spezifischer Nostalgie, sondern auch mit einer Verunsicherung, dem nicht gewachsen zu sein, was die Freiheit bietet. Der Staat habe sie früher zwar überwacht, aber als Versorgungsanstalt auch vor den Gefahren der Freiheit geschützt.
Freiheit sei natürlich ein Gewinn, meint der dialektisch geschulte Gregor Gysi, aber wo würden eigentlich die Akten des BND gelagert? Er erzählt von seiner Reise in die Freiheit, der ersten westwärts nach dem Mauerbau: »Das war im Januar 1988. Ich sollte einen Vortrag halten im Kulturzentrum der DDR in Paris über das Thema »Verwirklichung der Menschenrechte in der DDR«. Das war natürlich ein Stoff, von dem ich nicht gerade träumte, darüber zu reden. Ich hätte allerdings auch über Maikäfer geredet, Hauptsache, ich konnte nach Paris fahren.« Die deutsche Einheit sei vor allem ein Gewinn für den Frieden, das ist wesentlich. Bei allen Schwierigkeiten und Auseinandersetzungen und bei aller Verklärung da und Ignoranz hier hat Gysi einen real existierenden Traum, den man einfach umsetzen kann: »Wir müssen uns nur endlich mehr füreinander interessieren, dann kriegen wir es auch hin.«
Da stimmt ihm der konservative Linke Joachim Gauck zu, den mit dem sozialistischen Linken Gregor Gysi nicht so viel verbindet, und zieht an seiner Zigarette. Früher hätte er auf die Frage, wovon er in der Politik träume, wahrscheinlich geantwortet, das Richtige, Wahre zu erkennen und zu gestalten. Heute
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