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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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sei Politik für ihn »Gestaltung des weniger Schlechten«.
    Weniger Schlechtes will ich mir ansehen.Vielleicht liegt das Gute ja doch so nah.

Kapitel 5
    Made in Germany
    Der Regionalexpress ist kaum dem lauten Moloch Stadt entronnen, da tauchen schon still hindämmernde Orte auf, die vor langer Zeit geboren sind. Sie heißen Linda oder Holzdorf oder Oena. Obwohl in Berlin gerade noch ein Hauch von Altweibersommer in der Luft schwebte, scheint hier bereits trüber November angebrochen zu sein. Links und rechts ziehen Endstationen vorbei, vernagelte Bahnhöfe, verwilderte Nebengleise, verrottete Waggons. Fernsehlicht flackert bläulich durch den düsteren Nachmittag. Genauso graustichig verloren, der Blick getrübt von den gängigen Vorurteilen, stellen sich Westler gemeinhin den real existierenden Osten vor.
    Im Bahnhof, wo ich aussteige, gibt es keinen Stationsvorsteher mehr, keinen Wartesaal, keinen Fahrkartenschalter, nur einen einsamen Automaten auf Bahnsteig eins. Es müsste aber in dem toten Gebäude wenigstens noch ein Mensch hausen, der von dem lebt, was ihm Hartmut Mehdorn bezahlt, denn Weichen und Signale stellen sich nicht von selbst. Die Züge halten an diesem Bahnhof, der rein äußerlich noch einer ist, um heimkehrende Pendler aus der einhundertfünfzig Kilometer entfernten Hauptstadt abzusetzen und sie tags drauf wieder zur Arbeit nach Berlin zu bringen. Fahrzeit anderthalb Stunden. Ungefähr so lange dauert es von hier Richtung Osten nach Leipzig. Auf halber Strecke zwischen den beiden Boomtowns, wobei sich der Boom in Wahrheit nur auf die jeweiligen Innenstädte bezieht, liegt Herzberg.
    Das alles hat mir der Schaffner erzählt, neugierig fragend, was ich denn ausgerechnet in Herzberg wolle, er habe mich nie zuvor
gesehen und er kenne alle, die auf dieser Strecke regelmäßig einoder aussteigen, brauche die gar nicht mehr zu kontrollieren. Für eine Antwort blieb mir aber keine Zeit. Der Zug hielt bereits.
    Was mich hierher verschlagen hatte, war eine Untersuchung des »Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung«, in der die Kleinstadt Herzberg als typisch für regionale Ost-Orte an den verdorrten Rändern aufblühender Stadtlandschaften wie Dresden, Leipzig, Berlin beschrieben wurde: Arbeitslosigkeit um die achtzehn Prozent, was dem Durchschnitt im Bundesland Brandenburg entspricht.Viele erfahrene männliche Facharbeiter und gut ausgebildete junge Mädchen zogen Richtung Westen, wo es Jobs für sie gab, nur die Alten und Hoffnungslosen sind zurückgeblieben. In der Bevölkerung Herzbergs, las ich da, ist der Anteil derer, die man als Unterschicht bezeichnet, so hoch wie der Mangel an Frauen zwischen achtzehn und dreißig, weshalb die Autoren ihrer Studie die passende Überschrift »Not am Mann« gaben.
    Der Mann, der mich am Bahnhof abholt, hat sich von Amts wegen an der Diagnose von Herzberg beteiligt. Michael Oecknigk, ein Optimismus verbreitendes Kraftpaket, regiert die Kreisstadt im Landkreis Elbe-Elster seit 1990. Der 48-jährige CDU-Politiker, gelernter Bäcker, hinterließ während des Umbruchs, der auch in Herzberg vom Volk erzwungen wurde, mit seiner unverbildeten Sprache so nachhaltigen Eindruck, dass er bei der ersten nicht gefälschten Kommunalwahl die meisten Stimmen bekam. Seitdem ist er als Bürgermeister stets wiedergewählt worden.
    Er bevorzugt Klartext, überwindet Widerstand durch andauernde Rede und ansteckende Begeisterung, läuft und läuft und läuft möglichen Investoren so lange hinterher, bis sie entweder erschöpft aufgeben und ihn anhören oder gleich ein günstiges Angebot für seinen Bauchladen Herzberg abgeben. Geht nicht gibt’s für ihn nicht.
    Insofern ist er einer jener Ossis, die den westdeutschen Treuhändlern bei der Privatisierung und Abwicklung der Staatswirtschaft DDR gefehlt haben, von denen mir Birgit Breuel gesagt hatte, leider habe man sich die nicht backen können, leider habe
man nicht gewusst, wo man sie hätte finden können für die notwendige Transformation von der Plan- in die Marktwirtschaft. »Einen dritten Weg dafür hat es aber nie gegeben, eindeutig nein.« An Geld habe es nie gemangelt damals, rückblickend hätte man allerdings wohl »mehr tun müssen, um den Eigenkapitalmarkt zu stärken, Vermögensbildung zu betreiben, gerade auch, um den Menschen, denen wir in der Tat wirklich viel zugemutet haben, mehr Sicherheit und damit Selbstbewusstsein zu geben«. Was auch Wolfgang Berghofer so sieht.Volksvermögen, von dem immer

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