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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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und die Kommunisten haben die einfachen Menschen aufgehetzt gegen sog. reiche Juden und sog. reiche Kapitalisten« -, und mit dem Neid auf die jeweils anderen spielen heute ja auch sogenannte demokratische Parteien ganz gern.
    Herzberg ist ein typischer Patient der Einheit, an dem sich sowohl ganz allgemeine und für alle zutreffende Symptome der deutschen Krankheit erkennen lassen als auch spürbare Erfolge in der Behandlung sichtbar werden, wenn es praktische Ärzte gibt, die, statt zu resignieren, mit einer ostspezifischen Therapie beginnen. Eigenblut spritzen gegen Immunschwäche, Abwehrkräfte stärken, Selbstbewusstsein aufbauen. In Herzberg heißt der Hausarzt Michael Oecknigk: »Unser Rückgrat war zwar einzig und allein das Armaturenwerk, aber da die Geschäfte mit edlen Duschköpfen gut liefen, was sich nicht zuletzt in den 500 000 Euro Steuern niederschlug, die jährlich von Grohe in die Stadtkasse flossen, machten wir uns keine Sorgen um die Zukunft.« In der Festschrift »100 Jahre Armaturen aus Herzberg, 1900 bis 2000« schlug sich der Optimismus gedruckt nieder: »Mit der Konzentration der Programm-Marke Grohe-Art in Brandenburg ist gleichzeitig
die Sicherung des Werkes Herzberg für die weitere Zukunft vorgezeichnet.«
    Das las sich beruhigend gut, aber die Zukunft starb schon in der Gegenwart fünf Jahre später. Was Heuschrecken anrichten können auf Feldern, das hatten die Herzberger im Fernsehen schon mal gesehen und in der Bibel gelesen, aber dass es Heuschrecken nicht nur in der Natur und hauptsächlich im fernen Afrika gab, sondern auch in der Wirtschaft und in der Gesellschaft und mitten in Europa, das erfuhren Bürgermeister und Bürger erst spät. Eingeflogen waren die zwar noch nicht in ihrer unmittelbaren Nähe, aber was sie dann über die lasen, ging ihnen nahe: Der Weltmarktführer für Sanitärarmaturen, ein gesundes Unternehmen mit 900 Millionen Euro Umsatz, insgesamt 4500 Arbeitsplätzen, einem Eigenkapitalanteil von 50 Prozent und so hohen Rücklagen, dass die Firma praktisch ihre eigene Bank war, wurde 2002 von der Eigentümerfamilie für knapp eine Milliarde Euro an ausländische Investoren verkauft. Mit denen begann die Heuschreckenplage im Stammwerk Lahr im Schwarzwald.
    Die neuen Besitzer bezahlten ihre Investition nicht etwa mit eigenem Geld. Sie entzogen der Firma, wie üblich bei solchen Deals, fast das gesamte Eigenkapital, finanzierten den größten Teil der Kaufsumme über Kredite und luden die dadurch entstandene Schuldenlast von 760 Millionen Euro ab auf die Schultern des gesunden Körpers Grohe. Der ging daraufhin langsam in die Knie. Bereits drei Jahre später musste der größte Teil des immer noch stattlichen Bilanzgewinns für Zinsen an Banken bezahlt werden. Dann machten die Herren des schnellen Geldes auf anderer Leute Kosten für sich Kasse und verkauften Grohe für stolze 825 Millionen Euro, was in etwa das Achtfache ihres ursprünglichen real eingesetzten Kapitals ausmachte, an den nächsten Heuschreckenschwarm. Und der behandelte den Patienten zu Tode.
    2005 kamen die Plünderer schließlich in Herzberg an.Weil sie die so trickreich erzeugten Schulden mitgekauft hatten, wollten sie möglichst schnell die Gewinne steigern, um selbst wieder Mehrwert zu schaffen.Sie verlagerten deshalb die Armaturenproduktion
nach Thailand und China, wo die Arbeitskraft Mensch nicht viel zählt, ein Humanfaktor kein wesentlicher Kostenfaktor in den Bilanzen ist. Das Werk in Brandenburg wurde kurzerhand geschlossen. Proteste der Arbeiter und ihrer Familien, die über Nacht das kennenlernten, was ihnen früher von der SED als die üble Fratze des Kapitalismus beschrieben wurde, woran sie nie geglaubt hatten, prallten an den Abwicklern ab, die emotionslos ihren Auftrag erledigten. Die eigentlichen Drahtzieher saßen auf den Cayman Islands und hatten nur ihre Vollstrecker nach Herzberg geschickt.
    So weit, so schlecht.
    Geschichten wie die Geschichte der um ihre Zukunft betrogenen armen Leute von Herzberg gibt es viele in Deutschland, im Westen und im Osten. In Thüringen zum Beispiel waren Ende 2005 texanische Heuschrecken der Gruppe Lone Star eingeflogen und hatten sich die Fahrradproduzenten Sachsenzweirad Neukirch und Bike Systems Nordhausen einverleibt. Ein Jahr später wurde die Firma in Neukirch geschlossen. Schon ein halbes Jahr danach erwischte es auch die 125 Arbeiter in Nordhausen. Kurze Begründung: Nicht genügend Aufträge, um ein Überleben zu garantieren. Alles

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