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Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition)

Titel: Wie geht's, Deutschland?: Populisten. Profiteure. Patrioten. - Eine Bilanz der Einheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Ostdeutsche war auch er deshalb von seiner Sozialisation her vertrauter mit den sozialistischen Brüdern und Schwestern vor allem in Ungarn, aber auch in Polen oder der Sowjetunion: »Mit euch Wessis mussten wir ja erst mal Begriffe klären, obwohl wir eine Sprache sprachen. Das ist geschehen. Muss sich jedoch alles noch mehr auswachsen, bis es zusammengewachsen ist.« Die Schätzungen von Politikern,
die mal von fünfzehn Jahren ausgingen, bis es so weit ist, »waren zu kurz gegriffen«, aber das wisse man halt erst heute. Es brauche eben doch eine Generation bis zur Vollendung der deutschen Einheit, weil erst dann die Mehrheit, ganz egal, ob Ost oder West, der Deutschen »eine gemeinsame Geschichte hat«.
    Nach dem Umbruch, sagt Platzeck, hat es sogar eine Zeit gegeben, in der man sich manchmal nicht zu sagen traute, dass man aus dem Osten kommt, als ob man eine ansteckende Krankheit mitgebracht hätte in die neue Familie. Das hat sich gebessert, weil die drüben gemerkt hätten, dass sie nicht schlechter waren als die im Westen. »Ein ostdeutscher Braunkohlearbeiter hat härter geschuftet als ein Steinkohlearbeiter im Westen, gerade im Winter, nur um einigermaßen über die Runden zu kommen. Außer Schnee und Regen nervten der allgegenwärtige Materialmangel und die veraltete Technik.Wir dürfen nicht nur stolz sein auf unsere Revolution, sondern auch stolz auf das davor gelebte Leben. Die meisten Menschen in der DDR waren nämlich anständig. Langsam besinnen sich die Leute wieder auf das, was sie geleistet haben und was sie können, und sogar ihr habt begriffen, dass es außer dem grünen Ampelmännchen doch noch dieses oder jenes bei uns gab, was nicht so schlecht war, dass Kindertagesbetreuung nicht etwa deshalb ein strafbarer Tatbestand ist, weil wir das damals schon hatten.«
    In ihrer lakonischen Art bestätigt ihn die Bundeskanzlerin. Auch in der DDR sei es im Winter kalt, im Sommer heiß gewesen, und mitunter waren an Weihnachten die Christbäume schief. Wenn Angela Merkel von den Zeiten erzählt, denen die Deutschen entronnen sind, vergisst sie weder die Schwächen der Westler noch die der Ostler. Ihren Stolz, dass sie trotz denkbar schlechter Voraussetzungen – Ost, Frau, evangelisch – es geschafft hat, Vorsitzende des Männerbundes CDU und Kanzlerin aller Deutschen zu werden, lässt sie nicht etwa raushängen. Einem Begriff wie Stolz misstraut sie wie allen hohen Worten. Sie überhöht nicht mal die mutigen Helden der Revolution. Ohne Gorbatschow und Glasnost hätten sie es nie geschafft, sich zu befreien.
Ohne die Kohl’sche Spendenaffäre wiederum hätte sie nie eine solche Karriere gemacht.Was die eigenen Leistungen keineswegs mindert, aber ebenfalls zur Wahrheit gehört.
    Erträglich wurde das Leben damals nur deshalb, weil die Mehrheit, so gut es halt ging, die Realität – Mangel, Zensur, Bevormundung – aus ihrem Alltag heraushielt, also die Gegenwart so verdrängte wie heute viele die Vergangenheit. »Wer sich nicht bewegt, spürt keine Ketten«, erklärt Marianne Birthler. Solange die Grundbedürfnisse der DDR-Bürger erfüllt wurden – Arbeit, Wohnung, Brot -, ging die Rechnung der SED auch auf. Als sie außerdem Fortschritt, Glück und ein besseres Leben versprach, bekam sie Probleme. In seiner Wirklichkeit erlebte das Volk das Gegenteil, nämlich Rückschritt. Unzufriedenheit mischte sich mit einer erwachenden Sehnsucht nach Freiheit. Das ergab, weil gleichzeitig Glasnost aufblühte, eine explosive Mischung.
    Marianne Birthler hatte schon als Kind den verführerischen Sound der Freiheit kennengelernt. Jeden Sonntag erklang im RIAS, den man in Ostberlin hören konnte, die Freiheitsglocke vom Rathaus Schöneberg, und danach ertönte »eine feierliche Stimme« immer mit demselben demokratischen Credo: »Ich glaube an die Unantastbarkeit und an die Würde jedes einzelnen Menschen. Ich glaube, dass allen Menschen von Gott das gleiche Recht auf Freiheit gegeben wurde. Ich verspreche, jeden Angriff auf die Freiheit und der Tyrannei Widerstand zu leisten, wo auch immer sie auftreten mögen.« Das half der Bürgerrechtlerin, als die, deren Akten sie heute verwaltet, sie zu bedrängen begannen.
    Die studierte Physikerin Angela Merkel hat sich die grauen Knechte der Stasi, die in der Akademie der Wissenschaften, wo sie arbeitete, für ihre IM-Herden warben, dagegen listig mit den Waffen einer Frau vom Leib gehalten und denen einfach gesagt, ginge leider nicht, sie habe nun mal leider die

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