... Wie Gespenster in der Nacht
und dann weinte auch meine Mutter. Er sagte immer wieder, er hätte keine Wahl. Er sei genau der Mann, den Gott geschaffen habe. Ein schwacher, törichter Mann. Er behauptete, anders sein zu wollen, aber er sei nun mal nicht mehr, als er sei. Das war seine Entschuldigung für alle seine Fehler. Ich vermute, es war auch seine Rechtfertigung dafür, warum er seine Stärken verleugnete. Weil Gott ihn eben so geschaffen und er keine Kontrolle über sein Leben hatte, lag alles, was er tat, ob gut oder schlecht, nicht in seiner Hand. So hat er sein ganzes Leben verbracht – wie eine Marionette, die auf jeden reagierte, der an den Fäden zog.“
Fionas Herz floss aus Mitgefühl für Andrew über, erheblich geringer war jedoch ihr Verständnis für den Mann, der Andrews Vater gewesen war. Terence MacDougall hatte zugelassen, dass der eigene Sohn hungrig zu Bett gehen musste! „Hast du ihm das geglaubt? Hast du ihm geglaubt, dass ihn keine Schuld traf?“
„Ich war damals nur ein kleiner Junge. Ich hatte zwei Möglichkeiten: Entweder, ich nannte meinen Vater einen Lügner, oder ich glaubte ihm, dass er wirklich keine Wahl hatte und nicht ändern konnte, wer er war. Also habe ich mir das jahrelang immer wieder vorgesagt.“
„Und jetzt?“
Andrew schwieg. Fiona wollte ihn berühren, wollte ihm irgendwie Trost spenden, aber sie wusste nicht, wie. Sie wusste auch nicht, warum er ihr das alles erzählte, aber sie war zutiefst angerührt, dass er so offen zu ihr war.
Das Schweigen dauerte an. Draußen vor den Fenstern machte sich der heranziehende Sturm bemerkbar. Regentropfen trommelten auf das alte Schieferdach. Unten auf der Straße waren die hastigen Schritte der Menschen zu hören, die ins Trockene eilten, ein Ruf drang herauf. Sie fühlte und hörte Andrew aufstehen, und sie richtete sich ebenfalls auf. Und dann fand sie sich auch schon in seinen Armen wieder. Er küsste sie nicht, hielt sie nur fest an sich gedrückt und streichelte ihr übers Haar. Mit einer Locke strich er sich über die Wange, dann trat er einen Schritt zurück. „Da ist etwas, das ich tun muss“, sagte er.
„Möchtest du, dass ich mit dir komme?“, fragte sie.
„Nein, das muss ich allein erledigen.“
„Sei vorsichtig! Das Gewitter ist nicht mehr weit weg. Man kann schon das Donnergrollen hören.“
„Aye.“
Sie lauschte auf seine sich entfernenden Schritte und hätte nichts lieber getan, als ihn zurückzurufen und sich selbst als Trost anzubieten. Doch ihre Dämonen waren ebenso hartnäckig wie seine. Die Tür öffnete sich, schloss sich wieder. Und dann war Fiona allein.
Die volle Whiskyflasche, die Andrew bei Brian gekauft hatte, fühlte sich fast warm unter seinem Anorak an. Vermutlich, weil sie das einzig Trockene war, das er noch am Leib hatte. Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet, und es war unmöglich, noch zu bestimmen, wo der Regen aufhörte und wo der See begann.
Unter seinen Füßen spürte er das sanfte Vibrieren von MacDougall’s Darling , die langsam weiter auf den See hinausfuhr. Die Scheinwerfer strahlten über das Wasser, doch mehr als Regen und Nebel erfassten sie nicht. Nur ein Narr würde bei diesem Wetter draußen auf dem See sein. Ein Narr – oder ein Mann, dem eine Erleuchtung gekommen war.
Der Regen hatte die Wirkung des Whiskys, den er im Pub getrunken hatte, längst verwässert. Andrew war stocknüchtern. Irgendeine kleine Stimme in ihm bettelte flüsternd nach mehr, um den Schmerz zu betäuben, den die Einsicht brachte. Flehte darum, dass er die Entscheidung, die er getroffen hatte, immer noch rückgängig machen konnte.
Doch die Flasche blieb unter seinem Anorak, und seine Hände hielten das Ruder ruhig. Er steuerte das Boot nach Gefühl, verließ sich darauf, dass er seine Position und sein Ziel kannte.
Er wusste genau, wohin er wollte. Iain war diesen Weg schon vor ihm gegangen. Iain, der von seinen eigenen Ängsten und seinem Schicksal getrieben worden war. Vor Monaten hatte Iain beides an der tiefsten Stelle im See versenkt. Das war die Stelle, auf die auch Andrew jetzt zuhielt.
Ein Blitz teilte den Himmel. Andrew musste an den Abend denken, als sie Jamie und Peter Gordon gerettet hatten. Es war das gleiche Wetter gewesen, als sein Darling sich gezeigt hatte. Aber er war nicht hier, um sie zu finden.
Er war hier, um sich selbst zu finden.
Minute um Minute verstrich, der Regen wurde immer stärker. Andrew drosselte den Motor, nahm noch mehr Geschwindigkeit zurück, bis er sich kaum
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