... Wie Gespenster in der Nacht
hätte auch nicht sagen können, warum sie so sicher war, dass Andrew der einsame Musikant gewesen war. Aber sie wusste, dass sie noch nie im Leben etwas Schöneres und Bewegenderes gehört hatte und auch nie wieder hören würde, selbst wenn sie hundert Jahre alt werden sollte.
Jetzt stand sie am Fenster und sah hinaus in die hereinbrechende Dunkelheit. Obwohl der Dudelsack längst verklungen war, hörte sie noch immer die Melodie in ihrem Kopf, wie die Hintergrundmusik für die bevorstehenden Ereignisse in ihrem Leben.
„Fiona?“ Mara schob die offen stehende Tür zu Fionas Zimmer noch ein wenig weiter auf. „Störe ich? Ich habe dir eine Schüssel Suppe gebracht. Frances hat ihren Hühnereintopf gekocht. Du wirst ihn mögen, ganz bestimmt.“
„Das ist lieb von dir.“ Fiona durchquerte das Zimmer und nahm Mara die Terrine aus den Händen. „Ich wollte mir gerade ein Sandwich machen.“
„An einem Abend wie heute ist Eintopf perfekt.“ Mara folgte Fiona in die Suite hinein. „Offiziell ist schon Sommer, aber für meinen Geschmack ist die Luft noch immer viel zu kalt und zu feucht. Außerdem zieht schon wieder ein Gewitter auf.“
Die ganze letzte Woche über war ein Gewitter nach dem anderen niedergegangen. Düstere Wolken waren über dem Dorf gehangen und hatten in regelmäßigen Abständen Schauer heruntergeschickt. Die dichte Wolkendecke war kein einziges Mal aufgebrochen. „Isst du etwas mit?“
„Ich habe schon vorhin mit April gegessen, als du unterwegs warst. Andrew ist vorbeigekommen und hat mit uns gegessen.“
„Dann wundert es mich, dass noch genug für mich übrig geblieben ist.“ Fiona gab sich Mühe, heiter zu klingen. Dabei war es völlig unnütz, Mara etwas vormachen zu wollen. Sie besaß nicht nur die Gabe des Zweiten Gesichts, sie war auch einer der klügsten Menschen, die Fiona je getroffen hatte.
„Er hat nach dir gefragt.“
„Er ist eben ein aufmerksamer Mann. Vermutlich wollte er auch wissen, wie April sich in der Schule macht, wie sich dein Stoff verkauft und ob ihr schon den Grundstein für euer Haus gelegt habt.“
„Aye. Aber nicht mit dem gleichen Interesse. Ich sagte ihm, dass du mit Duncan mitgefahren bist, um Sara zu besuchen.“
Fiona griff eifrig das neue Thema auf. „Kaum zu glauben, dass die Kleine in genau diesem Moment schon auf dem Heimweg nach England ist.“ Heute Morgen hatte Fiona das Mädchen zum letzten Mal besucht, nur wenige Stunden vor ihrer Entlassung aus der Klinik. Sie vermisste Andrew an ihrer Seite, doch er hatte sich schon früher in der Woche von Sara verabschiedet.
Der Abschied war genauso schwer gewesen, wie Fiona es erwartet hatte. Sie hatte Sara eine Aquarellzeichnung von Stardust geschenkt, gerahmt und signiert und fertig, um in ihrem neuen Zuhause aufgehängt zu werden. Dann, nachdem das kleine Mädchen sie mit Luftküssen überschüttet hatte, zog Fiona Atemmaske und Schutzkittel aus, fuhr mit dem Lift nach unten zum Eingang und machte sich mit Duncan auf den Rückweg nach Druidheachd.
„Du wirst sie vermissen“, sagte Mara. Das war keine Frage. Manchmal brauchte Mara eine kleine Bestätigung für ihre Beobachtungen.
„Sehr.“ Der Abschied ließ Fiona mit zwiespältigen Gefühlen zurück. Einerseits war sie froh, dass Sara sich gut genug erholt hatte, um wieder nach England zurückzukehren. Andererseits würde sie die Kleine vermissen, wenn sie sie nicht mehr regelmäßig sehen konnte.
Sie stellte die Terrine auf den Tisch und spielte mit dem Deckel. „Weißt du“, setzte sie an, „auf der Rückfahrt habe ich mir überlegt, dass ich ihr dennoch helfen kann. Sie wird Fragen haben, wenn sie aufwächst. Fragen, die nur jemand beantworten kann, der das Gleiche durchgemacht hat wie sie. Ich glaube, ich werde sie besuchen, wenn sie sich erst eingewöhnt hat. Ihre Großmutter hat mich schon eingeladen, und ich denke, ihre Tante und ihr Onkel werden für die Hilfe dankbar sein.“
„Dir wird eigentlich erst jetzt bewusst, dass du gebraucht wirst, oder?“
Mit einem kleinen Lächeln sah Fiona auf. „Ich werde auch regelmäßig die Brandstation besuchen, sozusagen als freiwilliger Helfer. Die Stationsschwester hat mich darum gebeten. Sie sagt, die Kinder fragen ständig nach mir. Weißt du auch, warum? Nicht wegen meiner Geschichten oder wegen meiner Zeichnungen, auch wenn sie die natürlich mögen. Sondern weil ich ihnen erzähle, dass ich auch von einem Feuer verbrannt wurde. Und wenn sie mich sehen, dann schöpfen sie
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