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... Wie Gespenster in der Nacht

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Titel: ... Wie Gespenster in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilie Richards
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sie noch mehr uralte Unterlagen. Sie sah fast vor sich, wie ihr Vater penibel seine Papiere abheftete und sie dann fein säuberlich in Kartons verstaute – nur für den höchst unwahrscheinlichen Fall, dass sie vielleicht doch noch einmal gebraucht werden könnten. Sie sah einen Ordnungsfanatiker vor sich.
    Einen Mann, der Perfektion bei allem und jedem verlangte.
    Sie überflog die akkurat getippten Seiten. Es schienen Ausgabenlisten zu sein, datiert zurück auf die Zeit von vor über zwei Dekaden. Sie wollte sie schon zu den anderen Stapeln legen, als ihr ihr Name ins Auge sprang.
    Sie war Punkt sechs auf der Liste. Diverse Kosten für medizinische Maßnahmen bei Fiona . Am Rand stand eine Anmerkung mit Tinte. Melissa fragen .
    Ihre Hände begannen zu zittern, die Blätter glitten ihr aus den Händen. Von Anfang an hatte sie im Stillen gehofft, irgendwelche Hinweise auf die eigene Vergangenheit in den Sachen ihres Vaters zu finden, vielleicht den winzigsten aller Hinweise, dass er die unvollkommene Tochter doch nicht aufgegeben hatte. Doch bis zu diesem Moment war ihr Name nie aufgetaucht.
    Jetzt verstand sie auch, warum. Vor über zwanzig Jahren war sie zu einer ärgerlichen Extraausgabe in Donald Sinclairs Etat geworden. Sie war aus seinem Sichtfeld entfernt worden, genauso kalt und präzise wie die alten Hotelunterlagen. Zweifellos würde sie in diesem Karton eine Akte finden, die jede einzelne Arztrechnung enthielt, die er für ihre Behandlung hatte zahlen müssen.
    Sie stellte sich vor, wie er den Ordner wohl markiert hatte. Sinclair, Fiona. Ehemals geliebte Tochter.
    Ihre innere Stimme schmerzte sie ebenso wie das Bild selbst. Wut loderte in ihr auf, und für einen Moment nahm sie dieses Gefühl gefangen. Bis zu dem Tag, an dem ihr Vater starb, hatte sie insgeheim die Hoffnung gehegt, er würde zu ihr kommen und sie um Verzeihung bitten. Und selbst nach seinem Tod hatte sie nach Zeichen gesucht, dass sie ihm wenigstens ein wenig bedeutet haben könnte. Jetzt war diese Fantasievorstellung vorbei.
    Seit ihrer Kindheit hatte sie an der Überzeugung festgehalten, sie bräuchte die Unterstützung und Liebe ihres Vaters. Mit Donald Sinclairs Hilfe hätte sie sich der Welt stellen können, anstatt in dem sicheren und erstickenden Gefängnis zu leben, das ihre Mutter zu ihrem Schutz für sie geschaffen hatte.
    Es war nichts als eine Lüge gewesen, genau wie ihre Mutter immer gesagt hatte. Donald Sinclair hatte seine Tochter aufgegeben, weil sie kein perfektes Kind mehr war.
    Doch sie selbst hatte sich am meisten belogen. Sie hatte geglaubt, sie bräuchte ihn, um wieder heil und perfekt sein zu können.
    Aber sie brauchte ihn nicht.
    Die Frage, die Mara ihr gestellt hatte, fiel ihr wieder ein.
    Sehen die Kinder das richtig, Fiona? Bist du heil und gesund?
    Und sie hatte geantwortet: Fast .
    Fast. Aber nicht ganz.
    Jetzt wurde Fiona klar, dass sie die eigenen Unvollkommenheiten und die Zurückweisung des Vaters ihr ganzes Leben lang als Schild genutzt hatte, um den Rest der Welt auf Abstand zu halten. Für die Ablehnung des Vaters trug sie keine Verantwortung. Aber ihr kam die Verantwortung dafür zu, dass sie es so wichtig für sich hatte werden lassen.
    Über die Jahre, mit jeder einzelnen Entscheidung, hatte sie Feigheit und Verzagtheit zu ihrem Lebensmotto werden lassen. Doch jetzt gab es keine Entschuldigungen mehr.
    Fast .
    Sie hatte die Anerkennung der Eltern nicht gebraucht, nicht einmal ihre Kraft, um die Frau zu werden, die sie wirklich war. Auch ihre Eltern waren alles andere als perfekt gewesen. Und trotz allem liebte sie sie. Wenn sie sich an die schönen Momente mit dem jungen Vater zurückerinnern konnte, der sein kleines Mädchen stundenlang auf den Schultern getragen hatte, dann war das der Beweis – trotz der Zurückweisung, die sie danach erfahren hatte. Perfektion war nicht der Schlüssel, weder zur Liebe noch zur Freiheit.
    Ihr ganzes Leben hatte sie sich danach gesehnt, frei zu sein. Dabei hätte sie nie etwas anderes tun müssen, als ihre Flügel auszubreiten und endlich loszufliegen. Das hatte sie erst in den Wochen hier in Druidheachd erkannt. Sie hatte erkannt, dass sie alles, was nötig war, in sich trug. Sie hatte es immer in sich getragen.
    Fiona stand auf, und die Papiere flatterten zu Boden. Sie bückte sich, um die Blätter aufzuheben, doch mit ihren Gedanken war sie ganz woanders. Sie trug den Stapel zurück und legte ihn neben den Karton auf den Teppich. Sie würde sich die

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