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Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Titel: Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ensikat , Dieter Hildebrandt
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gegründet. Das hieß »Die Namenlosen«, weil uns kein Name eingefallen ist.
    E NSIKAT: Heute stellt man sich die Bundesrepublik ja gern so vor, als sei sie von Anfang an eine lupenreine Demokratie gewesen.
    H ILDEBRANDT: Von wegen! Wir hatten damals eine ausgesprochen restaurative Bewegung. Adenauer hat doch von Anfang an die alten Nazis als Aufbauhelfer eingesetzt, als Fachleute, als Bürgermeister. Er brauchte Leute, die das konnten. Dass die vorher vielleicht große Tiere bei der NSDAP oder bei der SS waren, interessierte ihn nicht. Das erste Studentenensemble damals, »Die Amnestierten«, hatte so eine Szene, in der es um die Entnazifizierung durch die Amerikaner ging, diese vier Klassen, Mitläufer und so weiter, wo zum Schluss ein früherer SS-Mann den amerikanischen Offizier als »lieben Kamerrrraden« anspricht.Es war ja sehr schnell zu merken, dass die amerikanische Politik Westdeutschland als Bollwerk gegen den Kommunismus ausbauen wollte, im Verein mit der katholischen Kirche.
    E NSIKAT: Also, der wesentliche Impetus für dich, Kabarett zu machen, war die Wut.
    H ILDEBRANDT: Na ja, und die Tatsache, dass ich gutes Kabarett gesehen habe. Ich war, um etwas Geld zu verdienen, Platzanweiser in der »Kleinen Freiheit« in München. Das war damals das beste Kabarett in Deutschland. Da haben Kästner und Martin Morlock getextet. Martin Morlock war der Mann fürs Tagespolitische, aber er hat auch Balladen geschrieben. Und weil große Leute eben manchmal nett sind zu den kleinen, hat der Morlock mich mitgenommen, hat mir von seinen Befürchtungen erzählt, wohin diese Politik von Adenauer führen würde. Von dem wusste ich, dass zum Beispiel von einhundertsechzig Personen im öffentlichen Leben Bayerns einhundertzwanzig ehemals hohe SS-, SA- oder NSDAP-Führer waren.
    E NSIKAT: Und dazu wolltest du dann auch mal etwas sagen.
    H ILDEBRANDT: Oh ja. Ich begann, Texte zu schreiben, brauchte aber auch ein Podium. Die erste Gelegenheit ergab sich bei einem Seminarfest der Theaterwissenschaft, das ich gestalten sollte. Ich dachte mir, das machst du diesmal nicht mit den üblichen Professorenparodien und Anekdoten. Ich mache politischesKabarett. Haben mir alle abgeraten: »Das geht nicht. Ist noch nie gegangen.« Mit zwei Kommilitonen haben wir dann ein Programm von einer Stunde einstudiert. Das war die Hauptveranstaltung des ganzen Seminarfestes. Und siehe da, diese völlig unpolitischen Theaterwissenschaftler, die von Politik auch keine Ahnung haben wollten, wachten auf, und wir hatten plötzlich ein Riesenpublikum. Selbst der Professor kam danach zu mir und meinte: »Das müssen Sie professionell machen.« Und zwei Monate später hatten wir ein ganzes Programm zusammen, haben in einer Kneipe Bierkästen zusammengestellt und sind da aufgetreten. Sind nicht durchgefallen, sondern aufgefallen. Die Kritiken waren großartig, aber den anderen, Älteren gegenüber ganz ungerecht. Wir waren eben »was Frisches«. Damit wollten die Kritiker den Alten eins auswischen, wie mir das heute ja auch manchmal passiert.
    E NSIKAT: Dem Schicksal entgeht keiner.
    H ILDEBRANDT: Die haben uns gegen die Routiniers von der »Kleinen Freiheit« ausgespielt. Dabei waren wir noch so klein und die längst ganz groß. Als wir anfingen, kam eine Reporterin des Bayerischen Rundfunks zu uns, um ein Eröffnungsinterview zu machen. Ihr erster Satz war natürlich ironisch gemeint: »Um einem dringenden Bedürfnis abzuhelfen, hat sich in München nun auch noch ein viertes Kabarett gegründet.« In diesem Ton.
    E NSIKAT: Da ist es wieder, dieses Lächeln.
    H ILDEBRANDT: Dieses gnädige, überlegene Lächeln: »Wir gewähren euch genau zwei Minuten, in denen ihr sagen könnt, dass ihr jetzt Kabarett spielen werdet.« Das hat mich immer wütend gemacht. Aber das lasse ich mir nicht mehr gefallen. Ich lächle jetzt zurück!
    E NSIKAT: Dass ich irgendwann beim Kabarett gelandet bin, hatte wohl ähnliche frühe Ursachen wie bei dir. Ich war auch Klassenkasper. Aber mein Spitzname war lange Zeit Professor, weil ich immer mit Büchern unterm Arm herumlief. Zum Kabarett wollte ich zunächst nicht. Ich wollte Goethe und Schiller werden.
    H ILDEBRANDT: Ich Max Reinhardt!
    E NSIKAT: Vorher wollte ich abwechselnd Straßenbahnfahrer und Dirigent werden. Aber dann, auf der Oberschule, wollte ich nur noch schreiben, dichten wie Kästner, den ich damals verschlang. Den hatte ich bald drauf, konnte ihn ziemlich gut kopieren. Meiner Klassenlehrerin, von der ich schon

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