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Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)

Titel: Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Ensikat , Dieter Hildebrandt
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hatten. Es gab keine Unterschriften, nichts, nur diese Parteinummern. Nun kann keiner nachweisen, dass man solche Nummern automatisch bekam. Denn es gab einen Befehl von Bormann, dem Reichsleiter, dasskeiner in die Partei aufgenommen werden durfte, der nicht bei der Gelöbnisfeier dabei war und der nicht unterschrieben hatte. Nun gibt es aber keine Unterschrift, und dass ich bei irgendeiner Feier dabei war, kann auch keiner nachweisen. Wie auch, ich war ja gar nicht zu Hause. Wir waren ja alle bei den Luftwaffenhelfern oder schon bei der Wehrmacht. Solche Feiern gab es in dieser Zeit gar nicht mehr.
    E NSIKAT: Da ging alles drunter und drüber.
    H ILDEBRANDT: Und wie. In den Archiven findet man über all das nichts. Letztlich wird es so gewesen sein: Der Reichsjugendführer Axmann schenkte uns, sozusagen einen ganzen Jahrgang, dem Führer zum Geburtstag. Deshalb steht da als Datum der Übernahme der 20. April 1944, Hitlers Geburtstag. Historiker aber haben den Journalisten recht gegeben. Sie sagten: Es gab den Befehl, nach dem keiner übernommen werden durfte, der nicht unterschrieben hatte und bei der Feier war, also müssen wir bei der Feier gewesen sein, und die Unterschrift muss es auch gegeben haben. Obwohl es sie nicht gibt.
    E NSIKAT: Da drängt sich mir eine Parallele auf: der Umgang mit den Stasi-Akten, diese Aktengläubigkeit. Fachleute und Journalisten befinden sich im Besitz von vielen Akten und von sehr wenig Wissen. Diese Selbstgerechtigkeit, mit der diese Leute Situationen beurteilen, von denen sie nicht den blassesten Schimmer haben.
    H ILDEBRANDT: Der Vergleich ist absolut statthaft. Er ist notwendig. Eines allerdings leuchtet mir bis heute nicht ein: Warum hat Günter Grass seine Geschichte mit der Waffen-SS nicht früher öffentlich gemacht? Da hätte man einiges dazu sagen können. So aber fanden sich sofort die minderbemittelten Geister, die sich freuten, dem Nobelpreisträger Grass endlich mal die Blechtrommel unter dem Arsch wegziehen zu können. Lauter Leute, die keine Ahnung davon haben, wie es 1944 zuging.
    E NSIKAT: Kannst du es dir erklären, warum einer damals zur SS ging?
    H ILDEBRANDT: Aber wie ich das kann! Es kamen ab einer gewissen Zeit Werbeoffiziere der SS durch die Schulen. Wir hatten zweimal solchen Besuch. Das waren junge, adrette, gut angezogene Männer. Und wir Schüler, was wollten wir denn? Wir wollten alle Ritterkreuzträger werden, U-Boot-Kapitäne, die Schiffe versenken und durch die Stadt marschieren und von den Mädchen bewundert werden. Wir wollten Leutnant sein, mindestens, denn alles drunter war schäbig und zerfleddert. Wir sagten doch nicht: »Ich hasse diesen Offizier.« Wir sagten: »Ich möchte das auch werden.«
    E NSIKAT: Aber im Nachhinein müsstest du behaupten, du hättest sie schon immer gehasst.
    H ILDEBRANDT: Kann ich aber leider nicht. Wir wollten glänzen. Allerdings hat sich die Sache wenig späterumgekehrt. Als wir im Wehrertüchtigungslager waren, bekamen wir tatsächlich einen Hass auf die SS-Leute. Das waren die schlimmsten Schleifer mit diesen Metzgergesichtern, die riefen: »Hinlegen, Sprung auf, Marschmarsch!« Mir wurde klar, dass ich zu denen auf keinen Fall wollte. Und so ging es den anderen aus meiner Klasse auch. Es kam dann jemand, der uns sagte: »Wenn ihr euch freiwillig meldet, jetzt schon, könnt ihr bestimmen, zu welcher Waffengattung ihr kommt. Wenn dann die SS-Werber kommen, können sie euch nicht mehr holen.« Deshalb haben wir uns freiwillig gemeldet – um nicht zur SS zu müssen. Aus meiner Klasse sind nur zwei zu denen gegangen.
    E NSIKAT: Zwei wie Grass.
    H ILDEBRANDT: Wahrscheinlich hat er gesagt: »Ich möchte auch so ein flotter Hengst sein.« Ich kann mir ganz gut vorstellen, dass der ein Frauentyp war. Der sah toll aus als kaschubischer Leutnant und wird aus diesem Grund die Wahl getroffen haben. So ein prägendes Erlebnis mit den Schleifern von der SS hatte er offensichtlich nicht.
    E NSIKAT: Aber aus so einer Sache heute ein moralisches Urteil fällen zu wollen, das ist …
    H ILDEBRANDT: Das ist fahrlässig und denunziatorisch!
    E NSIKAT: Auch hier bietet sich wieder eine Parallele. Christa Wolf, die als junges Mädchen überzeugt war, auf der richtigen Seite zu stehen, und die deshalb die Verpflichtungserklärung für die Staatssicherheit unterschriebenhat. Drei Jahre später hat sie das von sich aus gelöst. Dazu gehörte was! Reinzukommen in die Staatssicherheit, das war leicht. Aber rauszukommen, das war schwer.

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