Wie haben wir gelacht: Ansichten zweier Clowns (German Edition)
Ihr aus dieser Geschichte vierzig Jahre später einen Strick drehen zu wollen – das ist diese blinde Selbstgerechtigkeit.
WIE KOMMT MAN ZUM KABARETT?
E NSIKAT: Wir waren bei deinen frühen Jahren, in denen du zum Westdeutschen wurdest. Du kamst ja nicht sofort nach München.
H ILDEBRANDT: Erst mal hab ich in Niedersachsen bei der englischen Armee als Kellner gearbeitet. Wo meine Eltern waren, wusste ich zu der Zeit nicht. Ich hab mich dann in den verschiedensten Berufen durchgeschlagen, wollte ja auch mein Abitur nachholen. Natürlich ist mir schon sehr früh aufgefallen, was in der Zeit um mich rum so passierte. Wie katholische Priester wieder Predigten hielten, die dem NSDAP-Kreisleiter gut gefallen hätten. Die Leute, die bis eben noch Sturmriemen und Koppel getragen hatten, waren wieder katholisch, noch katholischer als vorher. Sie saßen wieder auf den Kirchenbänken ganz vorn und nahmen die Oblaten entgegen. Mein Abitur habe ich dann in Weiden in der Oberpfalz abgelegt. Danach kam ich nach München an die Uni und habe Theaterwissenschaft belegt, hatte aber gar keine Zeit zu studieren, weil ich mein Studium ja bezahlen musste. Das heißt, ich musste arbeiten, damit ich studierenkonnte, konnte aber nicht studieren, weil ich arbeiten musste.
E NSIKAT: Mir ging’s da besser. Ich bekam ein Stipendium an der Theaterhochschule.
H ILDEBRANDT: Ich nicht. Ich musste Hörgeld bezahlen. Und Prüfungen ablegen. Aber das war nicht so schwierig, weil die Professoren ihre Fragen meist so stellten, dass man sofort wusste, welche Antworten sie haben wollten. Ich habe alle Prüfungen bestanden. Nur eine nicht. Ich wollte Schauspieler werden, aber bei der Aufnahmeprüfung für die Schauspielschule bin ich durchgefallen.
E NSIKAT: Siehst du, und ich hab die Prüfung bestanden, bin aber nie ein guter Schauspieler geworden.
H ILDEBRANDT: Ich bin mit Recht durchgefallen. Der, der mich hat durchfallen lassen, Hans Schweikart, kam dann, als wir schon einen Namen hatten, zu uns in die »Lach- und Schießgesellschaft«. Er saß nach der Vorstellung neben mir an der Bar, war begeistert und fragte: »Wo haben Sie eigentlich Ihr Schauspielstudium gemacht?« Ich sagte, dass ich keines gemacht hätte, weil ich bei der Falckenberg-Schule durchgefallen sei. Er: »Wer war das?« Und ich: »Sie, Herr Schweikart.«
E NSIKAT: Hat er sich entschuldigt?
H ILDEBRANDT: Gelacht hat er. Dann meinte er, dass er an dem Tag wohl schlechte Laune gehabt haben müsse. Aber das war ja in Ordnung so. Wer weiß, wasaus mir geworden wäre. So blieb ich eben an der Uni und las da eines Tages die Einladung zu einer Sitzung des AStA mit einem Programmpunkt: »Dürfen Studentenverbindungen ihre Farben innerhalb des Universitätsgeländes tragen?« Das habe ich mir angetan und kam mir dabei vor, als wäre ich im falschen Stück. Ich hatte gedacht, diese Studentenverbindungen gäbe es gar nicht mehr, sie wären wegen ihrer Nähe zur NSDAP verboten. Die sind doch total auf die Nazis reingefallen.
E NSIKAT: Und jetzt gab es sie noch.
H ILDEBRANDT: Aber natürlich gab es die noch! Sogar die schlagenden Verbindungen gab es wieder. Es gab diese ganzen idiotischen antisemitischen Verbände noch. Und da bin ich hin, bin auf die Bühne, obwohl ich nicht angemeldet war als Redner. Die schickten einen Einarmigen, um mich von der Bühne zu holen, auf der anderen Seite zerrte einer von diesen Funktionären an mir rum. Ich kam mir vor wie die Magdeburger Halbkugeln, an denen die zwei Pferde zerren. Das machte mich noch wütender. Ich hab meinen Text in voller Wut rausgeschrien: »Freunde! Wenn ihr euch schon gegenseitig in die Fresse haut, dass das Blut läuft, dann geht doch dahin, wo ich auch hingehe: Geht Blut spenden! Da kriegt ihr fünfunddreißig Mark und könnt euch ein Stück Butter kaufen!« Auf der einen Seite saßen ungefähr vierhundert Studenten, die gejubelt haben. Auf der anderen Seite saßen dievon den Verbindungen und haben gezischt. In dem Moment wusste ich, das ist es, was mir gefällt. Einer zerrt rechts, der andere zieht links, einer jubelt, einer zischt. So kam ich auf den Gedanken, Kabarett zu machen. Von da an habe ich Kabaretttexte geschrieben.
E NSIKAT: Das war die Geburtsstunde des Kabarettautors Dieter Hildebrandt?
H ILDEBRANDT: Na ja, ich hatte auch vorher schon ein bisschen … aber nach dem Auftritt sagte ich mir: »Daraus machst du was!« Bis dahin wollte ich Schauspieler werden. Davon habe ich dann abgesehen und ein Studentenkabarett
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